SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

02MRZ2020
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Ein Vater bringt sein Kind zur Schule und schließt es zum Abschied in die Arme. Beide lächeln dabei ganz selig. Wie wunderbar: Der Schüler wird ganz fest und liebevoll von seinem Papa in den Arm genommen und damit nochmal für den Schultag gestärkt. Während der Schüler danach ganz beschwingt ins Schulgebäude hüpft, schaut der Vater ihm glücklich hinterher. Was für ein schöner Start in den Tag.

Umarmungen stärken nicht nur für den Tag und tun unheimlich gut. Sie sind laut der amerikanischen Familientherapeutin Virginia Satir auch überlebenswichtig. Satir sagt: „Wir brauchen vier Umarmungen pro Tag zum Überleben. Acht Umarmungen pro Tag, um uns gut zu fühlen und zwölf Umarmungen pro Tag zum innerlichen Wachsen."

Ich liebe es, die Menschen in den Arm zu schließen. Und meine Kinder fordern Gott sei Dank noch regelmäßig ihre Kuschelzeit ein. Aber wenn ich meine täglichen Umarmungen so durchgehe, fällt mir trotzdem auf: Zwölf Umarmungen sind bei mir nicht immer Alltag. Und was ist mit den Menschen, die alleine leben und niemanden haben, der sie einfach mal so in den Arm nimmt? Oder Menschen, die in Beziehungen leben, in denen körperliche Nähe schon lange kein Thema mehr ist?

Ich erinnere mich an eine Begegnung mit einer Bekannten. Wir haben uns zufällig auf der Straße getroffen und kurz miteinander geplaudert. Ich hab sie zum Abschied fest in den Arm genommen. Sie sagte mir dann: „Danke für Deine Umarmung! Ich bin schon lange nicht mehr umarmt worden. Das hat mir jetzt richtig gut getan.“ Diese Begegnung beschäftigt mich immer noch. Ich bin völlig überrascht, nicht nur wie ehrlich sie das sagt, sondern auch darüber, dass ein Mensch tagelang nicht umarmt wird. Das macht mich einerseits traurig. Und andererseits weiß ich auch nicht, was ich daran ändern könnte. Ich kann ja nicht alle umarmen. Und ich möchte nur dann umarmen, wenn ich es ehrlich meine und diese Nähe zulassen kann. Aber zumindest kann ich darauf achten, dass ich die Menschen bewusster und öfter mal in den Arm nehme, die ich gerne habe.

Umarmungen tun einfach gut. Sei es eine Umarmung mit dem Kind, dem Partner, der besten Freundin, einem Familienmitglied oder einem Bekannten. Wenn ich umarmt werde, spüre ich den Menschen, der mich umarmt, ich spüre mich selbst und dabei unsere Verbindung. Ich bekomme das Gefühl: Ich werde geliebt. Ich werde wertgeschätzt und anerkannt.

Wir alle brauchen diese Umarmungen. Doch sie finden nicht in jedem Alltag statt. Deshalb ist es so wichtig, dass wir aufeinander zugehen, uns auch in einer passenden Situation mal auf die Schulter klopfen, uns liebevoll anlächeln oder anerkennend über den Rücken streichen. Damit auch die Menschen überleben, sich gut fühlen und innerlich wachsen können, die oft alleine sind.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30446
weiterlesen...