SWR2 Wort zum Tag

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03MRZ2020
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Mit meinem Daumen zeichne ich ein Kreuz auf die Unterseite des frischen Brotes. Das mache ich immer, wenn ich einen neuen Laib anschneide. Ich habe dieses Ritual von meiner Mutter übernommen. Sie hat es von ihrer Mutter und meine Oma vermutlich von ihrer und so weiter.

Es ist nur eine kleine Geste, aber sie lässt mich jedes Mal kurz innehalten.

Das Kreuz als Segenszeichen. Es macht mir bewusst, was ich da in den Händen halte. Brot, das mich und meine Familie ernährt. Das würde es natürlich auch tun, wenn ich das Kreuzzeichen weglasse. Es würde genauso gut schmecken und ebenso satt machen wie ohne diesen kleinen Segen. Aber mir würde etwas fehlen.

Zum einen denke ich in diesem Moment kurz an meine Mutter. Sie ist vor einigen Jahren an Krebs gestorben. In diesem Augenblick erinnere ich mich an ihre Liebe für unsere Familie. Die vielen Brote, die sie für uns geschnitten und geschmiert hat, stehen symbolisch für all das, was sie uns Kindern für unser Leben mitgegeben hat. Ich weiß, dass ich ohne sie nicht der Mensch wäre, der ich bin.

Aber es ist nicht nur die Erinnerung. Das Brot bekommt dadurch einen anderen Wert. Vielleicht verändert der Segen nicht so sehr das Brot, sondern eher mich. Ich bitte um den Segen für das Brot, aber denke dabei an die Menschen, mit denen ich es teile. Meistens ist das meine Familie, manchmal sind es auch Gäste. Immer sind es Menschen, die mir am Herzen liegen. Ich möchte, dass es ihnen gut geht und tue dafür, was ich kann. Aber ich weiß auch, dass vieles nicht in meinen Händen liegt. Wenn ich Gott um seinen Segen bitte, dann geht es darum, mir das bewusst zu machen. Es macht mich bescheidener und demütig.

Und es gibt noch einen weiteren Aspekt. Ich bin in der glücklichen Lage, dass ich mir jederzeit ein Brot leisten kann. Trotzdem möchte ich es wertschätzen; mir klar machen, dass es nicht selbstverständlich ist, genug zum Essen zu haben. Dieser kurze Moment hilft mir, dankbar dafür zu sein.

Nach dem Kreuz, schneide ich die ersten Scheiben ab. Ich atme den Duft des frischgeschnitten Brots ein und freu mich auf eine leckere Mahlzeit.

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