SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

26FEB2020
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Bei Abschieden muss ich immer weinen. Und nicht nur bei den schweren Abschieden, wenn ein Mensch stirbt oder wenn etwas Schlimmes passiert. Mir kommen auch die Tränen, wenn es besonders feierlich zugeht, wenn ein Mensch geehrt wird für eine besondere Tat zum Beispiel, wenn ich eine besonders schöne Musik höre oder beim Happy End im Spielfilm.

Manchmal ist es mir gar nicht recht, dass andere meine Tränen mitbekommen, denn oft denken die Leute, sie müssten mich trösten, wenn mir die Tränen übers Gesicht laufen. Selbst wenn das gar nicht nötig ist und ich nur weine, weil der Moment so groß ist. Und weil ich ein bisschen näher „am Wasser gebaut“ habe als andere.

Tränen kann man nicht abstellen wie man einen Wasserhahn abdreht. Dass einem die Tränen kommen, das ist ja eine Reaktion, die man nicht steuern kann. Das ist etwas, das unwillkürlich geschieht. Ich weiß das, aber ich will trotzdem nicht, dass jeder mitbekommt, wenn ich weine.

Gott, sammle meine Tränen in deinem Krug; ohne Zweifel: du zählst sie. So betet ein Mensch in einem Psalm in der Bibel. Er stellt sich vor, dass bei Gott keine Träne verloren geht.

Auch die kleinste Träne, die ich geweint habe oder die ich noch weinen muss – Gott sammelt sie. Weil sie etwas Kostbares sind. Gott zählt sie, weil Tränen etwas Wichtiges sind. Sie sind ein Teil meiner Seele, ein Ausdruck meiner Gefühle, meines Schmerzes oder meiner Bewunderung; und sie sind ein wertvoller Teil meines Lebens. Deshalb denke ich inzwischen: Ich muss meine Tränen nicht verstecken oder mich womöglich dafür schämen.

Ich habe entdeckt, dass mir manchmal auch die Tränen kommen, wenn es gar nicht um mich geht. Wenn ein Mensch mir etwas über sich erzählt, dann kommen mir manchmal die Tränen. Seine Erfahrungen gehen mir zu Herzen. Die traurigen, aber auch die schönen und feierlichen. Ich sage dann, dass es mich berührt, was ich eben gehört habe. Und mein Gegenüber weiß, dass ich mit ihm mitfühle.

Gott, sammle meine Tränen in deinem Krug. Auch die Tränen der anderen. Trauer, Ergriffenheit oder Freudentränen. Ich bin mir sicher: Bei Gott geht keine Träne verloren. Im Gegenteil, bei ihm sind auch die Gefühle gut aufgehoben.

 

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