SWR2 Wort zum Tag

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28FEB2020
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Was sind 75 Jahre? Das frage ich mich im Februar des Jahres 2020, das ja auch ein Jahr zahlreicher Gedenktage und Erinnerungen ist. Was ist in den zurückliegenden 75 Jahren in Deutschland nicht alles passiert? Ende des Zweiten Weltkrieges. Trümmerlandschaften. Dann das Wirtschaftswunder. Der Aufbau eines demokratischen Deutschlands.

Und dabei immer - als verlässlicher Grundton – das Versprechen: Nie wieder! Nie wieder soll sich wiederholen, was Europa verwüstet und Millionen von Menschen das Leben gekostet hat.

Gilt das heute noch? Die Erinnerung daran scheint zu schwinden wie eine verblassende Schrift an der Wand. Weil es immer weniger Menschen gibt, die den Schrecken erlebt haben und davon erzählen können. Aber auch weil die Stimmen lauter werden, die die Erinnerung daran auslöschen wollen.
Dabei machen Erinnerungen unser Leben aus – gute wie schlechte!

Der jüdische wie der christliche Glaube haben mit guten Gründen das Erinnern geboten. Und Schranken gegen das Vergessen errichtet. „Wenn dich dein Kind fragen wird“, so heißt es in der hebräischen Bibel, „dann erzähle ihm von dem Weg, den du gegangen bist. Durch Schrecken und Gefahren. Aber auch davon, wie dir die göttlichen Gebote Wegweiser waren.“

Sonst werden aus früheren Katastrophen neue. Das Volk Israel hat in der Wüste gelernt, dass die nostalgische Sehnsucht nach dem vermeintlich bequemen Leben in der Vergangenheit eine gefährliche Illusion war. Und Christen sind Irrwege gegangen, wenn sie meinten, auf die Erinnerungen des jüdischen Volkes verzichten zu können.

Religiöser Glaube ist auch darum vernünftig, weil er die Erinnerung, das Gedenken, pflegt und bewahrt. Gerade in Zeiten, wo manche immer schriller von einer „erinnerungspolitischen Wende“ reden.

Der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat einmal gesagt: "Erinnern heißt, eines Geschehens so ehrlich und rein zu gedenken, dass es zu einem Teil des eigenen Innern wird.“

Was also sind 75 Jahre? Für mich beginnen sie mit Erinnerungen an Zeiten, wo wir als Kinder noch in Trümmerlandschaften gespielt haben. Später gab es dann Aufbrüche und Neuanfänge für ein menschliches und demokratisches Miteinander.
Erinnerungen, die für mich unverzichtbar sind. Ich will sie pflegen und lebendig erhalten.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30411
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