SWR2 Wort zum Tag

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27FEB2020
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„Humor und Gnade“, das ist der Titel eines Buches, in dem ich in den letzten Wochen gerne gelesen habe. Ein spannender philosophischer Dialog zwischen dem Philosophen Marcus Steinweg und dem Schriftsteller Frank Witzel.

Bei der Lektüre bleibe ich hängen an einem Satz wie diesem: „Wir leben unter einem von Göttern entvölkerten Himmel. Der Himmel ist leer, nicht die Welt... Es gibt nicht zu wenig Sinn, es gibt unendlich viel davon.“ Und weiter heißt es: „Was wir heute konsumieren, ist profanierte Religion: Esoterismen, Selbsterfahrungspraktiken, Sinnplunder..., Theoriemoden, Bedeutungskitsch, kurz das, was Nietzsche Götzen nennt.“ Alles in allem: „doxologische Narkotika.“

Dagegen empfehlen die beiden Autoren: gib dem Denken freie Bahn! Lass dich auf die Erfahrung ein, dass du mit dem eigenen Denken weit kommst! Aber eben nicht überall hin. Dass es Grenzen gibt. Für deine körperlichen Kräfte wie für deine geistigen.

Ich finde das überzeugend. Tatsächlich wird jedes Denken, aber auch jeder Glaube narkotisch, wenn sie sich ihrer Grenzen nicht mehr bewusst sind.

Der biblische Glaube weitet mir den Horizont. Aber er schützt mich auch vor der Versuchung, die ganze Welt im Netz meines Verstandes einfangen zu wollen.

„Lass dein Herz nicht eilen, etwas zu reden vor Gott,“ heißt es in der Bibel, „denn Gott ist im Himmel und du auf Erden.“

Genau darum ist der biblische Glaube kein geistliches Narkotikum. Denn ihm ist die grundlegende Differenz zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und Welt, bewusst.

Als Christ weiß ich, dass ich das Rätsel dieser Welt nicht lösen kann. Das ist aber nicht alles. Denn der Glaube inspiriert mich dazu, angesichts dieses Rätsels mein Leben dennoch bewusst zu gestalten. Ganz ohne Narkotika. Und verantwortlich allein vor Gott, dem nicht egal ist, was die Menschen tun oder unterlassen.

Oft brauche ich dazu die Gnade des Humors. Sie lässt mich ertragen, was manchmal schwer zu ertragen wäre.

Oder wie die beiden Autoren schreiben: „Wahrscheinlich ist Humor Gnade oder eine Form der Gnade. Aus den düster kreisenden Verwicklungen des Denkens einen Ausgang zu entdecken, den das Denken nicht verstopfen kann, weil es außerhalb von ihm liegt.“

Literaturhinweis:

Markus Steinweg/Frank Witzel: Humor und Gnade, Matthes & Seitz, Berlin, 2019

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30410
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