SWR2 Wort zum Tag

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05MRZ2020
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Dadada Daa - die fünfte Sinfonie von Ludwig van Beethoven kennt fast jeder. Aber die zehnte nicht. Vielleicht, weil Beethoven sie gar nicht zu Ende komponieren konnte - er ist währenddessen gestorben. Sie hat deshalb auch den Beinamen „Die Unvollendete“. Zu Beethovens 250. Geburtstag soll sie jetzt vollendet werden. Und zwar mit Hilfe von künstlicher Intelligenz! 

Ein Sponsor hat tief in die Tasche gelangt und ein internationales Team zusammengestellt, das sich darum kümmert: Musikwissenschaftler, Komponisten und Computerspezialisten arbeiten mit dem Pianisten Robert Levin daran, einen Algorithmus so zu trainieren, dass er die von Beethoven komponierten Bruchstücke möglichst beethovenmäßig zusammensetzt und ergänzt. Der Direktor des Karajan-Instituts sagt: „Der Algorithmus ist unberechenbar, er überrascht uns jeden Tag aufs Neue. Er ist wie ein kleines Kind, das die Welt Beethovens erkundet.“ Der Algorithmus muss sich beeilen, denn spätestens am 28. April soll Beethovens Zehnte in seiner Heimatstadt Bonn uraufgeführt werden. 

Das wünsche ich mir auch manchmal, dass Unvollendetes vollendet wird: das halbfertige Baumhaus für meine Jungs zum Beispiel. Der halbaufgeräumte Keller, die alten Fotos, die ich noch digitalisieren wollte oder der Werkzeugkasten, der dringend mal sortiert werden sollte. Mein Körper scheint mir auch noch nicht ganz vollendet zu sein, irgendwie immer ein bisschen unfit und immer öfter krank. 

Manchmal sind auch Beziehungen unvollendet: Wenn ich einen Streit mit einem anonymen Autofahrer hatte und einfach so weitergefahren bin. Alte Freunde, die ich aus den Augen verloren habe, oder eine Cousine. Oder jemand, der gestorben ist, dem ich eigentlich noch was sagen wollte. Es bleibt so vieles halbfertig. 

Bei Beethoven kümmert sich ein Team aus Spezialisten und ein Algorithmus um die Vollendung. Und bei mir? Ich hoffe darauf, dass Gott mich vollenden wird - wenn ich einmal sterbe. Ich hoffe, dass ich nach meinem Tod nicht bei null anfangen muss, sondern dass ich all das vorfinden werde, was mich hier schon ausmacht: das was ich weiß und kann, meine Erfahrungen, meine Freunde, meine Familie, meine Tiere - alles, was mir hier ans Herz gewachsen ist. Und all das, was ich in meinem Leben nicht auf die Reihe gekriegt habe, das könnte Gott kitten, verbinden, heilen oder heil machen. 

Diese Vorstellung, die entlastet mich richtig. Und die baut mich auf, wenn mal wieder irgendwas nur halbfertig ist.(371)

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