SWR3 Gedanken

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19FEB2020
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In der Münchner Uniklinik steht seit neustem der erste 3D-Ganzkörperscanner Deutschlands. Sündhaft teuer, aber dafür unheimlich genau. Jede Falte, jeder Leberfleck wird in HD abgebildet. Fast 100 Kameras errechnen ein präzises 3D-Bild meines Körpers. Danach bin ich für den Arzt ein offenes Buch. 

Und genau das mag ich nicht an dem Gerät. Es ist mir ungefähr so unangenehm wie der Psalm 139 aus dem Alten Testament früher. Der Psalm hieß bei uns Studierenden immer nur der „Stasi-Psalm“. Wahrscheinlich weil viele beim Lesen das Gefühl hatten, Gott überwache uns Menschen ständig. Außerdem war es die Zeit der großen Stasi-Enthüllungen. 

Auch heute noch klingt der Psalm ein bisschen danach. Da heißt es: „Ob ich sitze oder stehe, du Gott kennst es. Du durchschaust meine Gedanken von fern. Von hinten und von vorn hast du mich umschlossen, hast auf mich deine Hand gelegt.“ 

Ich wollte immer gerne den Verfasser des Psalms verstehen. Und irgendwann ist mir ein Licht aufgegangen, was den Unterschied ausmacht. Die Stasi hat Menschen beobachtet, um sie anzuschwärzen und fertig zu machen. Bei Gott ist das anders. Der Psalmdichter wird gar nicht fertig damit, Gott genau dafür zu loben. Er schätzt es, dass einer um ihn weiß, dass es diese verlässliche Größe Gott gibt, die möchte, dass ich mich entwickle, dass aus mir etwas wird, dass ich vielleicht auch zu dem werden kann, der ich eigentlich sein könnte. 

Das ist beim 3D-Ganzkörperscanner auch nicht anders. Wenn er nur hübsche Bilder macht, vielleicht sogar, um mir eine kleine Schönheits-OP vorzuschlagen, dann pfeif ich drauf. Wenn er aber dafür eingesetzt wird, um Hautkrebs zu erkennen oder beschädigte Körperteile zu rekonstruieren, dann bitte gerne. 

Den Psalm 139 verstehe ich inzwischen so: Bei Gott ist es ähnlich wie bei guten Eltern. Sie haben schon ein Auge auf die Kinder. Aber sie lassen ihnen auch die Freiheit, selbst die Welt zu entdecken und zu dem zu werden, was zu ihnen passt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30365
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