SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

19FEB2020
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„Abends wenn ich schlafen geh …“ Mit diesen Worten beginnt ein Abendgebet, das Teil einer Oper ist. Hänsel und Gretel, die von ihren Eltern ausgesetzt wurden, legen sich im Wald zum Schlafen. Vorher bitten sie Gott, dass die Engel sie behüten mögen. Damit ihnen nichts geschieht.

Der Arzt und Theologe Albert Schweitzer hat da andere Erfahrungen gemacht: „Gebete ändern nicht die Welt.“ Diese Erfahrung teilt er mit vielen anderen Menschen.

„Lieber Gott, mach, dass meine Mutter wieder gesund wird.“ „Lieber Gott, lass mich eine Eins in der Mathearbeit schreiben.“ „Lieber Gott, hilf, dass die Kriege auf der Welt aufhören.“ Doch die Mutter ist noch lange krank, die Arbeit wird eine Vier und statt weniger gibt es immer mehr Kriege. Die Wirklichkeit bleibt scheinbar, wie sie ist.

Manchmal frage ich mich, ob es nicht sinnlos ist zu beten. Dazu passt die folgende Geschichte:

Ein Mensch macht sich auf den Weg zu einem Weisen in der Wüste und bittet ihn: „Lehre mich beten, damit endlich ein Erfolg für mich dabei herauskommt.“ Und er bekommt den Auftrag, mit einem schmutzigen Drahtkorb Wasser zu holen aus dem Brunnen, der einige hundert Meter entfernt ist. Doch jedes Mal ist das ganze Wasser wieder aus dem Korb herausgelaufen, als der Mensch bei dem Weisen ankommt. Und der Weise schickt ihn gerade wieder mit dem gleichen Auftrag auf den Weg. Einige Male macht der Mensch das mit, aber nach dem dritten Mal platzt ihm der Kragen und er sagt zum Weisen: „Das funktioniert doch niemals. Ich kann gehen so oft ich will, in einem Korb kann ich kein Wasser holen, es läuft alles wieder heraus.“ Da sagt der Weise zu ihm: „Du hast zwar kein Wasser zu mir gebracht, aber schau dir den Korb an, er war schmutzig und jetzt ist er ganz sauber geworden. Genauso ist es mit dem Gebet. Auch wenn du beim Beten nicht die Erfahrung machst, dass du Erfolg hast, so gibt dir das Beten doch eine andere Einstellung und eine neue Ausrichtung.“ Soweit die Erzählung.

Beeindruckend an dieser Geschichte finde ich, welche Mühe der junge Mann aufwendet, um Beten zu lernen. Es ist selbstverständlich, dass man sich anstrengen muss, um Lesen und Schreiben zu lernen, Rad fahren oder Schwimmen. Aber Beten soll auf Anhieb gelingen; und falls es nicht klappt, gibt man schnell auf: „Es bringt ja doch nichts, das Beten“.

Das hat auch Albert Schweitzer so erfahren: „Gebete ändern nicht die Welt.“ Nur dass sein Satz noch weiter geht: „Aber Gebete ändern die Menschen und Menschen ändern die Welt.“

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