SWR2 Wort zum Tag

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19FEB2020
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Schwimmen zwei jüngere Fische des Weges und treffen zufällig einen älteren Fisch. Der Ältere grüßt sie und sagt: „Guten Morgen Jungs, Wie ist das Wasser?“ Die zwei jungen Fische schwimmen eine Weile weiter und schließlich sagt der eine zum anderen: „Was zum Teufel ist Wasser?“

Diese Geschichte fällt mir oft ein, wenn ich Menschen begegne, die einen großen Verlust zu beklagen haben. Offenbar haben wir Menschen die Eigenart unser Glück erst im Rückblick zu sehen. Erst wenn es nicht mehr da ist. Wir sind scheinbar immer nur glücklich gewesen. Am schlimmsten ist das Leben, wenn man dieses „Ach hätte ich doch…“ in sich fühlt. Dieses Gefühl etwas versäumt zu haben. Vor allem, wenn es um Menschen geht, die weg sind. Das ist schrecklich.

Ich kenne das auch von mir. Immer wieder stelle ich fest, dass ich im Alltag wie mit Blindheit geschlagen bin. Ich sehe einfach nicht was da ist und wie großartig mein Leben oft ist. Wie bedeutsam es ist, dass ich Menschen habe, die ich immer anrufen kann. Dass ich täglich etwas Warmes im Magen habe. Dass ich ein Dach über dem Kopf habe. Und ich kann mir sogar aussuchen wen ich anrufe, was ich esse und wie ich wohne. Aber ich sehe das einfach nicht. Für mich ist zu viel zu selbstverständlich. 

Es geht mir jetzt nicht um derzeit moderne Begriffe wie „Bewusstheit“ oder „Achtsamkeit“. Auch nicht darum, wie wichtig es ist im „Hier und Jetzt“ zu leben. Ich finde das mit dem Wasser besser. Mir hilft dieser Gedanke. Weil er so einfach ist. Mir geht es besser, wenn ich mir die Frage stelle: Wie ist das Wasser heute? Wie ist das, was sowieso um mich herum da ist? Ich versuche damit wahrzunehmen, was ich sonst übersehe.

Ich mache das jeden Tag. Ich versuche mich auf all die Selbstverständlichkeiten einzulassen. Dinge, Zustände und Menschen, die durch ihre Alltäglichkeit zu verschwinden drohen. Und wenn ich etwas oder jemanden verliere, dann weiß ich, dass ich es jeden Tag versucht habe. Und dann, hoffe ich, wird dieses „Ach hätte ich doch...“ nicht so laut und nicht so schmerzhaft sein.

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