SWR1 Begegnungen

SWR1 Begegnungen

16FEB2020
AnhörenDownload
DruckenAutor*in
Monica Sinderhauf Foto: B. Sonnen

Sie ist Archivarin, genauer gesagt, Leiterin des Trierer Bistumsarchivs, und als solche für tausende Meter Akten, Urkunden und Bücher von Bischöfen, Klöstern oder Pfarrarchiven verantwortlich. Das ist spannender und vielfältiger als es klingt, denn es geht keineswegs nur um die große Geschichtsschreibung, auch Familienforscher kommen.

Ah, da gibt’s ja dann auch ne ganze Reihe Leute die dann bei uns anfragen und darauf erpicht sind, dass sie irgendeinen Adligen finden (lacht), der in ihrer Familie, ja, sozusagen noch mal den Glanz in die Familie bringt. Also das sind so die Dinge, es ist eben nicht immer nur schnödes Papier, was vergilbt und was Eselsohren hat, sondern es ist ein Stück eigene Geschichte oder eben die Geschichte einer Institution.

Archivarbeit ist Gedächtnisarbeit. Es geht darum, das historische und kulturelle Erbe einer Gesellschaft zu erhalten. Das ist allen Archiven gemeinsam, ob Bundes-, Kreis- oder Bistumsarchiv.

Ob ich im Bistumsarchiv in Trier arbeite oder ob ich in einem großen Industrieunternehmen arbeite oder im Archiv einer politischen Partei oder eines Verbandes, eines Vereins: Wir stehen auf den Schultern unserer Vorfahren, brauchen ein Archiv und brauchen sozusagen dieses Gedächtnis in Papierform und von mir aus auch in Form von Filmen, Fotos oder sonst was.

Die Vergangenheit vor dem Vergessen zu bewahren ist wichtiger denn je, finde ich – gerade in Zeiten eines neu aufkommenden Rassismus und Antisemitismus und der Haltung, dass jetzt auch mal Schluss sein muss mit der Erinnerung - was gerade in Deutschland mit seiner Nazi-Vergangenheit gar nicht geht.

Ein aktueller Schwerpunkt des Trierer Bistumsarchivs ist die Aufbewahrung und Erschließung von Pfarrarchiven, die ins Bistumsarchiv kommen, etwa weil Pfarreien zusammengelegt werden, sie keinen Platz mehr haben oder ihre Unterlagen nicht fachgerecht lagern können. Da gilt es dann, die Akten nicht nur aufzubewahren, sondern so aufzubereiten, dass man später auch wieder findet was man sucht.

Denn irgendwann kommt die Pfarrei an und sagt, so, wir haben jetzt Pfarrfest, wir würden gern unsere Pfarrchronik, Pfarrgeschichte oder Jubiläumsfestschrift schreiben. Dann gibt es aber auch einen Schwerpunkt, der erst in den letzten Jahren immer dringlicher geworden ist, und das ist die Bestandserhaltung der Bestände.

Soll heißen, der Archivar kämpft gegen Säure und Holzwurm im Papier, gegen Tinten- oder Mäusefraß. Warum die Digitalisierung für Monica Sinderhauf dabei nicht der Königsweg der Bestandserhaltung ist und warum sie als Christin Archivarbeit trotz der drohenden ökologischen Selbstauslöschung der Menschheit für wichtig hält, dazu mehr nach dem nächsten Titel.

Teil 2

Dr. Monica Sinderhauf, Jahrgang 1962, hat Theologie, Geschichte und Kunstgeschichte studiert und anschließend die Ausbildung zur Archivarin gemacht. Seit 2013 ist sie Leiterin des Bistumsarchivs in Trier. Dokumente, Akten, Urkunden, Bücher für die Nachwelt zu erhalten, ist für sie kein Selbstzweck, sondern ein Mittel, aus der Geschichte für heute zu lernen. Zu wissen, wie frühere Generationen gelebt und das Leben angegangen sind, ist wichtig für die eigene Identität heute, lautet ihr Credo. Das Bewahren und Erhalten über Jahrhunderte hinweg ist gar nicht so einfach, Papier ist anfällig für Schäden, Säure und andere Papierfresser machen dem Archivar das Leben schwer.

Doch die Digitalisierung müsste doch diese Probleme ein für allemal lösen. Ja und nein sagt Sinderhauf. Ihr Beispiel:

Unsere älteste Urkunde im Archiv ist aus dem Jahre 1003, die ist über 1000 Jahre alt. So, die kann ich natürlich digitalisieren, und dann digitalisiere ich ne Akte aus dem Generalvikariat und stelle beide Bilder nebeneinander, und das sind dann nur noch Bilder, die ich auf dem Bildschirm sehe, ich merke nicht mehr den Unterschied zwischen der Akte aus dem Generalvikariat und der Pergamenturkunde von Erzbischof Heribert. Hab ich die Dinge aber vor mir liegen, dann kann ich die Pergamenturkunde anfassen und weiß, dass sich das Pergament anders anfühlt als das Papier, was industriell hergestellt ist.

Mit anderen Worten: Mit den Original-Dokumenten geht auch die Kultur verloren, die drinsteckt. Hinzu kommt: Wenn man mit EDV-Leuten spricht, sagt Sinderhauf, dann reden die bei Bestandserhaltung oft nur über einen Zeitraum von zehn, 20 oder 30 Jahren, weil sich danach das Speichermedium schon wieder massiv verändert haben könnte. Für den Archivar ist dauerhaft aber etwas anderes.

Also dauerhaft heißt immer für die Ewigkeit. Also dauerhaft archivieren heißt also tatsächlich auch für die Dauer von 300, 400 Jahren unsere Pergamenturkunde ist über 1000 Jahre alt, also das müssen dann erstmal die digitale Archivierung leisten können, dass man das auch in 1000 Jahren, aber gut was weiß ich was man in zehn, zwanzig 100 Jahren alles entwickelt, die Menschen entwickeln sich weiter ich geh mal davon aus dass sie dann irgendwann entsprechende Formen finden um das dauerhaft zu archivieren. Mir reicht es wenn ich analoge Quellen habe von denen weiß ich die halten noch ne ganze Zeit lang

Apropos Ewigkeit. Wie geht die Theologin und die Archivarin Sinderhauf, der es um dauerhaften Erhalt geht, damit um, dass die Menschheit gerade dabei ist sich abzuschaffen und der Ewigkeit ökologisch ein Ende zu setzen.

Wir sind Christen, wir haben eine große Hoffnung, dass es in irgendeiner Form immer weiter geht, auch wenn wir uns vielleicht in einen anderen materiellen Zustand verändern, wir können jetzt auf eine 2000jährige Geschichte zurück blicken, ich bin ziemlich guter Hoffnung, dass es auch eine weitere 2000jährige Geschichte geben wird, wie die dann aussehen wird, das weiß ich nicht, aber ich will zumindestens mal die Möglichkeit geschaffen haben, dass auch unsre zukünftigen Nachfolger eine Chance haben, ein Gedächtnis zu haben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30324
weiterlesen...