SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

09FEB2020
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„Dunkel war's, der Mond schien helle, schneebedeckt die grüne Flur, als ein Wagen blitzesschnelle langsam um die Ecke fuhr…“ Kennen sie das?

Das Gedicht hing früher in den Stuttgarter Straßenbahnen. Ich habe es mir oft durchgelesen und überlegt, ob ich die Widersprüche nicht doch irgendwie zusammendenken kann. Aber ich habe sie nicht zusammengebracht.

In der Bibel gibt es auch einen widersprüchlichen Satz, den ich lange nicht verstanden habe. Er steht im Markusevangelium und er lautet: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben.“ „Ja, was denn nun? Glaubt da einer oder glaubt er nicht?“ habe ich mich gefragt. Man muss wohl die ganze Geschichte hören, um das zu verstehen.

Einmal hat Jesus seine Freunde eine Weile allein gelassen. In der Zeit ist ein verzweifelter Vater zu ihnen gekommen, der gehofft hat, dass sie seinen kranken Sohn heilen können. Es könnte ja sein, dass etwas von seinen heilenden Kräften auf die Freunde übergeschwappt ist. Der Sohn war schon seit Geburt krank. Er hat immer wieder Anfälle bekommen. Dann ist er gestürzt und hatte Schaum vor dem Mund. Außerdem hat er dabei mit den Zähnen geknirscht und ist ganz starr geworden. Doch die Freunde konnten nichts machen. Sie waren deshalb erleichtert als Jesus endlich wieder aufgetaucht ist und sich selbst um den Vater gekümmert hat.

„Kannst du helfen?“ hat ihn der Vater gefragt und Jesus antwortet ihm mit rätselhaften Worten: „Für den, der glaubt ist alles möglich“. Sofort schreit der Vater diesen Satz heraus: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben.“ Jesus konnte den Sohn dann wirklich gesund machen.

Was muss das für eine Erleichterung für den Vater gewesen sein. Sicher hatte sich über die Jahre vieles in ihm aufgestaut: Hoffnung, und dann wieder Enttäuschung. Die letzte Enttäuschung liegt erst Minuten zurück, als es die Jünger nicht geschafft hatten, den Sohn zu heilen.

Was müssen das für Sorgen gewesen sein: Die Angst, dass der Sohn bei einem seiner Anfälle gravierend zu Schaden kommt oder vielleicht sogar sterben könnte. Schließlich ist er während seiner Anfälle schon mehrmals ins Feuer oder ins Wasser gefallen. Und dazu die Erschöpfung. Wer sich schon über viele Jahre um ein krankes Kind kümmert, ist erschöpft. All das ist jetzt vorbei. Jesus hat ihm seinen größten Wunsch erfüllt und endlich muss er keine Angst mehr haben.

Glaube und Zweifel klingen aus den Worten des verzweifelten Vaters. Zweifel ist ja nicht nur schlecht. Er bringt nicht nur Verunsicherung, sondern durchaus auch Klärung. Er bringt mich dazu kritisch zu fragen, ob ich wohl die Dinge richtig verstehe: Die Bibel und auch vieles andere. Der Zweifel ist hilfreich, wenn ich überprüfen will, was andere über Gott verkünden. Und er korrigiert mich auch.

Ich diskutiere oft mit kritischen Leuten, und ich selbst bin es hoffentlich auch. Kritisch zu sein ist nicht verkehrt. Journalistinnen und Journalisten brauchen kritische Leserinnen und Leser, die vertrauenswürdige Quellen einfordern. Politikerinnen und Politiker brauchen kritische Bürgerinnen und Bürger, damit sie nicht nachlassen, eine gute Arbeit zu machen. Man muss in der Sache auch nicht immer einer Meinung sein. Aber kritische Nachfragen sind wichtig.

Beim Nachdenken habe ich gemerkt: Glaube und Zweifel passen doch zusammen. Sie gehen oftmals Hand in Hand. Mir wäre es zwar lieber, ich hätte 100 Prozent Glauben und 0 Prozent Zweifel. Doch ich weiß nicht, ob das überhaupt jemand von sich sagen kann

Der Vater in der Geschichte schreit den Satz spontan heraus: „Hilf meinem Unglauben“. Das ist für ihn eine tiefe und ehrliche Bitte an Gott.

Mir gefällt, dass Jesus nicht eingeschnappt reagiert hat. Er hat gemerkt, der Vater setzt all seine Hoffnung auf ihn. Trotz seiner Zweifel. Er hat nicht weiter kommentiert, sondern seine Wunderkraft eingesetzt und dem Vater und seinem Sohn geholfen. Das zeigt mir: Jesus kommt damit klar, wenn ich ihm offen sage, wie es in mir aussieht. Ja, so passt dieser widersprüchliche Satz für mich.

„Hilf meinem Unglauben“ kann auch zu meinem Satz werden. Ich will den Blick nach oben richten und offen und ehrlich sagen, was bei mir los ist. Nicht beschämt, nicht voller Gewissensbisse, sondern energisch und voller Hoffnung, dass Gott mir hilft.

Ich glaube, hilf meinem Unglauben ist kein Unsinn-Satz aus einem amüsanten Gedicht. Es ist ein Vertrauenssatz. Er zeigt mir: Es macht Sinn, so zu beten und auf Gottes Hilfe zu hoffen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30301
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