SWR3 Gedanken

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12FEB2020
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Während der Zeit des Nationalsozialismus gab es nicht viele, die mutig waren. Die meisten haben geschwiegen und weggeschaut, wenn Juden, Sinti und Roma, behinderte Menschen abtransportiert und getötet wurden. Auch in der evangelischen Kirche gab es nicht viele, die mutig waren. Sicher, es gab die so genannte „Bekennende Kirche“, es gab Lichtgestalten wie Dietrich Bonhoeffer und Paul Schneider, aber die meisten Christen blieben angesichts der Verbrechen stumm.

Als wir das im Konfirmandenunterricht besprochen haben, waren alle betroffen. Irgendwann blickte mich eine Konfirmandin empört an: „Wenn sowas wieder passiert, schreiten meine Freundinnen und ich ein!“

Ich habe mich gefreut über ihre Empörung. Das Leid anderer Menschen, Unrecht an anderen Menschen darf einen nicht kalt lassen, da waren sich alle einig.

Und dann habe ich mich an meine alte Geschichtslehrerin erinnert. Als wir uns damals empörten, zitierte sie gerne einen Satz des Philosophen Ludwig Marcuse: „Wie mutig man ist, weiß man immer erst nachher.“

Ich mag diesen Satz, weil er demütig macht: Denn wenn ich ehrlich bin, kann ich nicht wissen, wie ich mich in einem Unrechtsregime verhalte. Vielleicht werde ich auch einfach weggucken, vielleicht will ich dann auch einfach nur überleben.

„Wie mutig man ist, weiß man immer erst nachher.“ Heute ist mir der Satz auch eine Warnung: Es darf nie mehr so weit kommen. Und dafür muss ich heute etwas tun.

Wir haben im Konfirmationsunterricht überlegt, wo wir jetzt schon in unserem Leben mutig sein können: nämlich überall, wo Menschen beschimpft und ausgegrenzt werden, ob auf dem Schulhof oder im Büro oder auf der Straße. Da kann man heute sehr wohl etwas tun, ja, da muss man mutig sein!

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