SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

02FEB2020
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Gerne besuche ich ihn. Einen alten Mann in unserer Gemeinde. Vor seiner Haustür schon höre ich Blasmusik. Die liebt er ganz besonders, weil er sich dann an seine frühere Zeit im Musikverein erinnert.

Seine Augen blitzen hellwach durch seine dicken Brillengläser bei der Begrüßung. Im Rollstuhl kommt er mir entgegen. Das schränkt ihn schon sehr ein. Aber dafür ist sein Herz sehr weit.

Auf seinem Tisch liegen stapelweise Zeitungen. Seinen Laptop auf dem kleinen Tisch daneben bedient er souverän. Sein Enkel hat ihm alles erklärt. 

Politik interessiert ihn. Die großen Zukunftsfragen beschäftigen ihn. Das Klima. Der Friede. Der gesellschaftliche Zusammenhalt. Dass seine Kinder und Enkel eine gute Zukunft haben. Daran glaubt er fest. Die schaffen das sagt er.  Dafür betet er jeden Tag.

An einer Wand in seinem Zimmer hängen viele Bilder. Die ganze Familie ist darauf versammelt. Sein ganzer Stolz. Zu jedem Bild gibt es Geschichten. Bei jedem Besuch erzählt er mir. Manchmal lachend. Manchmal mit feuchten Augen.

Ein Bild ist gerade dazugekommen. Er mit dem jüngsten Spross der Familie auf dem Arm. Gerade mal vier Wochen alt ist er der kleine Jonathan. Sein ganzer Stolz ist er.

92 Jahre alt und doch hellwach. Voller Hoffnung. Irgendwie junggeblieben. Vernetzt mit der Welt. Informiert. Interessiert. Und immer wieder sagt er:  Ich bin getragen von meiner Familie. Und von meinem Gott.

Ich muss an den Simeon in der Bibel denken. Und auch an die Prophetin Hannah. Auch sie waren alt.  Aber voller Hoffnung. Heute an Maria Lichtmess ist ihr Festtag und ihre Geschichte wird im Gottesdienst vorgelesen.

Simeon und Hannah. Die beiden glauben fest daran, erst dann sterben zu müssen, wenn sie den erhofften Messias, den Retter für alle Menschen gesehen haben. Fast erblindet und dem Tod schon nahe beten und warten sie in Jerusalem darauf, das noch erleben zu können.

Im kleinen Jesus, den Joseph und Maria eines Tages zum Tempel tragen, um Gott  für ihr Kind zu danken, erkennen die beiden Alten ihren Retter und Heiland.

Die Bibel erzählt wie Maria dem Simeon ihren kleinen Jesus kurzerhand in den Arm legt. Und wie nurder in ihm etwas ganz Besonderes sieht. Den langersehnten Retter. Seinen Messias.

Freudestrahlend und mit glänzenden Augen stimmt er sein Loblied an.  Jetzt kann ich in Frieden sterben. Ich habe den Heiland gesehen. Für alle Völker ist er das Licht. Bis heute wird so gebetet und gesungen. 

Genau 40 Tage nach Weihnachten feiern Katholiken heute den Lichtmesstag. Zum richtigen Zeitpunkt. Denn die Tage werden wieder länger. Das Licht ist endlich stärker als das Dunkel. Die Nacht wird kürzer als der Tag. Das Warten hat sich gelohnt.

Im Mittelpunkt des Gottesdienstes steht heute die Geschichte von zwei alten Menschen. Simeon und Hannah.

Ist es nur eine anrührende Geschichte von alten Leuten und kleinen Kindern?

Von einem Mann und einer Frau vor 2000 Jahren. Die lebenssatt sind und doch nicht sterben wollen ehe sie den herbeigesehnten Retter sehen. Ihn buchstäblich in den Armen halten wollen.

Oder ist es auch jene Geschichte vom 92 jährigen Mann, der noch ganz viel Hoffnung in sich trägt. Sich so freut über den Urenkel und sein so langes Leben. Von einem der an die Zukunft glaubt. Für sich. Und seine Familie.

Gründe zur Resignation gibt es doch so viele. Damals und heute mehr denn je. Die Gewaltspirale dreht sich. Die Krisenherde der Erde werden nicht weniger. Die Folgen des Klimawandels bedrohen die Ärmsten und treiben sie in die Flucht.

Nicht wenige sagen doch:  Was da noch auf uns  zukommt? Wie gut, dass ich es nicht mehr erleben muss, weil ich schon so alt bin.

Simeon. Hannah. Sie stehen bis heute für alle Menschen, die viel Hoffnung in sich tragen. Hoffnung für diese notgeplagte Welt.

Für Menschen, die gegen allen Augenschein dem Licht mehr trauen, als dem Dunkel. Sich freuen an Kindern und der Zukunft trauen. Für Menschen, die sich engagieren, auch wenn alles noch so sinnlos erscheint.

Und was müssen sich die alles anhören: Ihr Träumer! Seid ihr nicht alt genug um Realisten zu sein. Schaut doch auf die Wirklichkeit. Die Zukunft für unsere Kinder. Ist sie nicht bedrohter denn je?

Und du Simeon und du Hannah. Hand aufs Herz. Wie soll euer kleiner Jesus Licht bringen für alle Völker?  Ein Kind! Das ist doch kein Beweis.

Doch sie halten all dem stand. Bleiben hoffende und träumende Kinder. So hochbetagt sie auch sind. Mit großen Augen.

Zu Weihnachten habe ich dem Mann die Kommunion gebracht. Er lächelte beim Beten und Singen. Zufrieden und dankbar schaute er auf die Wand mit den Familienbildern. Und meinte:

Das Leben ist so schön. Uns geht es so gut.Und im gleichen Atemzug sagte er entschieden: Aber ich bin auch bereit zu sterben.

Wie es auch kommen mag. Ich bin getragen von meinem Gott und meiner Familie.

An diesen Mann muss ich heute denken am Lichtmesstag. Und an all die anderen, die ich kenne. Menschen, die Gott die Treue halten. Ein Leben lang.  Die Gott noch etwas zutrauen ein Leben lang. Bis in den Tod.

Sie sind mir Vorbild.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30282
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