SWR4 Abendgedanken

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06FEB2020
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In den Wintermonaten habe ich das Buch „Mittagsstunde“ von Dörte Hansen gelesen. Sie beschreibt darin das Dorfleben in Norddeutschland seit den 70ger Jahren. Dieses Buch ist voll Wärme zu den Menschen auf dem Land geschrieben und hat mich angeregt, meine eigenen Kindheitserinnerungen mit denen des Hauptdarstellers zu vergleichen. Der Gastwirt in diesem Dorf in den 70er Jahren hat ein Neugeborenes im Haus – das uneheliche Kind seiner Tochter, Ingwer heißt es. Dieses Kind ist ungewollt und auch ungeliebt und es schreit. Es schreit und schreit und niemand kann es beruhigen. Sönken, der Gastwirt, ist sehr unglücklich über den kleinen Jungen in seinem Haus. Trotzdem setzt er sich an einem Nachmittag an sein Bettchen und sagt „Bist koolt?“ Ist Dir kalt?

Und dann nimmt er den kleinen Jungen aus seinem Bett, er knöpft sich Weste und Hemd auf und legt den Kleinen auf seine nackte Haut. Als seine Frau nach ihm schaut, sieht sie: Großvater und Enkel sind beide eingeschlafen. Diese Erfahrung war für Sönken der Auslöser, den kleinen Ingwer nun überall hin mitzunehmen. Er trägt ihn vor sich auf der Brust. Das führt zu einer ganz besonderen Beziehung von Großvater und Enkel. Es führt aber auch dazu, dass er im Dorf belächelt wird.

Mich hat es an meinen eigenen Vater erinnert. Er war auch einer der Männer, die zu einer Zeit, als das absolut unüblich war, den Kinderwagen geschoben hat und sich um seine kleine Tochter gekümmert hat. Ich kann mich gut daran erinnern, dass mein Vater mich gelegentlich mitnahm und immer stolz auf seine Tochter war. Als mein Mann und ich in den 90ger Jahren selber Eltern wurden, haben wir uns die Erziehungsarbeit geteilt. Wir haben beide jeweils in Teilzeit gearbeitet, um Zeit für unsere Söhne zu haben. Mein Mann wurde damals immer noch neidvoll bis mitleidig belächelt, wenn er mittags seine Arbeit beendete. „Schönen Feierabend! So gut möchte ich es auch haben!“

Damals gab es nur Erziehungsurlaub, noch keine Elternzeit. Seitdem hat sich viel verändert und heute finden wir es selbstverständlich, dass sich auch die Männer um die Kinder kümmern. Die zwei Monate gemeinsame Elternzeit hat der Entwicklung noch einmal einen neuen Schub gegeben. Heute dürfen Kinder beide Elternteile erleben und Mann und Frau ergänzen sich als Vater und Mutter in ihren Aufgaben. Und noch etwas ändert sich damit – zumindest in meinen Augen:

Es ändert sich damit auch das Bild von Gott als Vater. Denn unser Gottesbild ist immer von unseren menschlichen Bildern geprägt: ein Vater, der mit seinem Kind spielt, es füttert und pflegt – das ist ein anderes Vaterbild als das des strafenden und richtenden Vaters. So wird schon in der Bibel Gott wie ein moderner Vater beschrieben:

„Ich war es, der sie gehen lehrte, der sie nahm auf seine Arme. Ich war da für sie wie die, die den Säugling an ihre Wangen heben. Ich neigte mich ihm zu und gab ihm zu essen.“ (Hosea 11, 3).

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