SWR3 Gedanken

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Meine Füße kleben am Boden, die Sohlen erdenschwer. Alles zieht mich hinunter. Nur mein Blick und meine Sehnsucht lösen sich von der Erde und wandern zum Himmel. Zu den Wolken. Mit ihrer Schwerelosigkeit, mit ihrer Leichtigkeit. Die haben es gut. Die schweben einfach über den Himmel, nichts hält sie, nichts beschwert sie. Nichts?

Wolken sind Wasser. Und Wasser kann man wiegen. Nehmen wir einmal an, eine Wolke hätte eine Masse von 100.000 Kubikmetern. Bei einer Luftfeuchtigkeit von einem Liter Wasser pro Kubikmeter Luft ergibt das 100.000 Liter Wasser. Ein Liter Wasser wiegt auf der Erde ein Kilogramm. Also wiegt meine mittelgroße Wolke 100 Tonnen. Da bin ich aber froh, dass sie nicht auf die Erde fällt und mich erschlägt. Tut sie aber nicht. Wieso?

Weil mit steigender Entfernung von der Erde die Erdanziehung geringer wird. Und mit geringer werdender Erdanziehung sinkt auch das Gewicht der Wolke. In der Höhe, in der meine Wolke über den Himmel zieht, ist sie in der Tat fast schwerelos und unendlich leicht. Wunder der Physik. Aber in meinen Augen weit mehr: Wunder des Lebens.

Denn noch immer kleben meine Füße am Boden, die Sohlen erdenschwer. Und alles zieht mich zu Boden. Schwere Gedanken, belastende Gefühle, die Enge des Alltags machen mir zu schaffen. All das drückt mich nieder. Und dennoch mache ich immer wieder die Erfahrung, dass es in aller Schwere so etwas wie Leichtigkeit geben kann.

Wenn ich meine Gedanken, meine Gefühle Richtung Himmel schicke. Dann kleben meine Füße noch immer am Boden, die Sohlen sind noch immer erdenschwer. Aber die Seele gewinnt an Leichtigkeit. Als würde die Erdanziehung geringer und die Macht des Himmels stärker. Als würde die Last, die auf mir liegt, an Gewicht verlieren. Als würde ein Hauch von Schwerelosigkeit meine Seele wieder atmen lassen.

Dabei gilt für meine Seele dasselbe Prinzip wie für die Wolken. Auch die behalten aus Erdensicht grundsätzlich ihr Gewicht. Aber in der Nähe des Himmels wiegen sie leichter. Also lasse ich von Zeit zu Zeit den Himmel in meine Seele. Weil ich in all meiner Erdenschwere so dankbar bin für ein wolkenleichtes Gegengewicht.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=3019
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