SWR2 Wort zum Tag

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23JAN2020
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Der Kern der Religion ist der Streit. Hat mal ein Wissenschaftler formuliert. Ich bin sicher: Da ist was dran. Denn alle Religionen entstehen aus dem Konflikt. Der jüdische Glauben speist sich aus dem Aufstand von Sklaven, die gegen die Pharaonen rebellieren. Jesus gerät immer wieder in Konflikt mit traditionellen Überzeugungen. Und am Anfang des Islam steht die Missachtung und Verfolgung Mohammeds.

Auch in den Religionen selbst ist Streit an der Tagesordnung. Immer wieder spalten sich Menschen und Gruppen ab, begründen neue Glaubensrichtungen oder Kirchen. So gibt es etwa im Christentum über 300 Kirchen, die sich im Ökumenischen Rat der Kirchen zusammengeschlossen haben.

Der Kern der Religion ist der Streit. Kein Wunder. Denn bei Religion geht es immer auch um den ganzen Menschen. Es geht um das, was jemand als wertvoll, als heilig versteht. Das will sich niemand nehmen lassen. Und: Wenn ich etwas für wichtig halte, will ich das anderen weitergeben. Will sie von meinem Glauben überzeugen. Auch das kann schnell zu Streit führen. Wenn nämlich zwei starke Überzeugungen aufeinanderprallen. Das sorgt für Konflikte. Im Alltag und auch im religiösen Kontext.

Ich bin sicher, dass solche starken Überzeugungen und auch Glaubensüberzeugungen wichtig sind. Wer nicht weiß, was er glaubt, was für ihn wirklich zählt, was zentral ist, der steht immer in einer Gefahr: Dass er nicht zurückweisen kann, was lebensfeindlich und schlecht ist.

Deswegen finde ich auch den Streit um Glauben und religiöse Traditionen wichtig. Den Streit etwa um das Tanzverbot am Karfreitag, um Kopf­tücher für junge Mädchen, um Kreuze im öffentlichen Raum.

Hier zeigt sich auch die Kehrseite der Medaille: Der Streit um Überzeugungen kann in Gewalt ausarten. Dabei wird oft vergessen: Gewalt widerspricht im Kern jeder Religion. Denn Gewalt entwertet immer den Glauben. Völlig unabhängig davon, was ich glaube. Gewalt entwertet das, was mir wichtig ist. Denn wer Gewalt ausübt, der hält seinen Glauben ganz offensichtlich nicht für überzeugend genug. Gewalt im Namen des Glaubens wiederlegt im Kern die eigene Religion. Das ist die Grenze des Streits, der jeder Religion innewohnt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30165
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