SWR2 Wort zum Tag

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22JAN2020
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An Weihnachten hat sich in diesem Jahr bei mir ein Gedanke festgesetzt. Er begleitet mich auch in den ersten Wochen des neuen Jahres. Es geht um die Kunst, die Richtung zu wechseln.

Mir ist der Gedanke gekommen, als es um die Weisen ging, die einen Stern sehen und aufbrechen. Es wird erzählt, dass sie diesen Stern in westlicher Richtung entdecken. Sie selbst leben im Osten. Erster Richtungswechsel: Sie sehen entgegen der Richtung, in der sie sind, die ihnen vertraut ist, wo sie sich zu Hause fühlen.

Den Stern entdecken Wissenschaftler, Astronomen. Menschen also, die mit dem Himmel vertraut sind. Es ist ihre Wissenschaft, die sie zum Kind führt. Nicht der Glaube.

Aber als sie dann bei Jesus angekommen sind, da fallen sie auf die Knie. Sie beten das Kind an. Sie glauben an Gott in diesem Kind. Zweiter Richtungswechsel: Die Wissenschaftler kennen neben dem Wissen auch den Glauben. Sie sind offen für all das, was jenseits ihrer Wissenschaft zu finden ist.

Ich finde das spannend: Wissenschaft und Anbetung sind bei den Weisen aus dem Morgenland wie selbstverständlich miteinander verbunden. Sie können die Sterne erforschen und deuten – und sie können auf die Knie fallen. Im Blick auf heute legen die Weisen damit einen weiteren Richtungswechsel nahe. Heute gibt es oft nur die Alternative. Glaube oder Vernunft, Gott oder Wissenschaft. Die Sterndeuter zeigen: Beide Welten gehen zusammen. Sie machen deutlich: Auch wer seinen Verstand benutzt, auf die Vernunft setzt, der kann Gott entdecken.

Die Sterndeuter stehen so für eine dreifache Kunst, die Richtung zu wechseln. Die Kunst, in eine andere Richtung zu sehen. Die Kunst, über den Horizont des eigenen Wissens hinauszusehen. Die Kunst, Welten miteinander zu verbinden. Die Weisen aus dem Morgenland legen mir nahe: Dreh dich mal um, guck mal in die andere Richtung. Sieh mal, was vielleicht doch zusammengeht. Meine Überzeugung und die Überzeugung eines anderen. Meine Perspektive und die vielen anderen Perspektiven.

Diese Kunst, die Richtung zu ändern, will ich in diesem Jahr kultivieren. Auch noch dann, wenn die Erinnerung an Weihnachten schon längst verblasst ist.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30164
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