SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

29DEZ2019
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„Bin ich denn der Hüter meines Bruders?“ Dieser Bibelvers hat sprichwörtlich Karriere gemacht. Er stammt aus der uralten Geschichte von Kain und Abel. Eine Geschichte, die uns erzählt, wie durch Neid und Eifersucht die gute Schöpfung Gottes aus den Fugen gerät. Am Ende dieser dramatischen Geschichte ist der Mensch nicht nur nicht der Hüter seines Bruders. Er ist sogar sein Feind. Kain schlägt seinen Bruder Abel tot. Weil er denket, dass der Vater diesen mehr liebt als ihn. „Der Mensch ist des Menschen Wolf!“ schreibt in diesem Sinn viel später ein englischer Philosoph. Und heute heißt es manchmal so: „Die Hölle, das sind die Anderen!“ Begonnen hat das alles einmal mit der unsäglichen Ausrede von Kain. Als Gott ihn zur Rede stellt, antwortet er: „Bin ich denn der Hüter meines Bruders?“ So kündigt man jede Solidarität und Mitmenschlichkeit auf, so weigert man sich für Andere Verantwortung zu übernehmen. Man grenzt sich voneinander ab und lässt es einfach zu, dass es mitmenschlich rau und kalt wird. Auch eine Form des Klimawandels, der uns bedroht.

 

Und dann feiern wir Weihnachten? Gott sei Dank! Wir feiern es mit Leib und Seele, weil es uns und unserer Welt gut tut. Weihnachten ist Gottes Gegenentwurf zu einer kalten und hartherzigen Welt. In dem (kleinen) Kind im Stall gibt sich Gott in die Obhut der Menschen. Der Mensch soll ihn annehmen und versorgen, damit die uralte Verweigerung Kains rückgängig gemacht wird. Vom Christ-Kind geht die rettende Botschaft aus: Jeder ist der Hüter seines Bruders und seiner Schwester. In dem kleinen Kind schreibt Gott den Menschen eine Wegweisung ins Stammbuch, das das Zusammenleben auf eine neue, andere Grundlage stellen soll: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“. Also den Menschen lieben und achten! Hüter sein und nicht Wolf! Hüten und behüten, auf einander achtgeben, sich für andere einsetzen und stark machen und ganz besonders die Kleinen und Schwachen schützen und notfalls mittragen.

 

Das ist Gottes Programm für eine menschenwürdige und gerechte Welt. Diese beginnt unscheinbar und fast unbemerkt. Nicht in den Machtzentren und nicht mit feierlichen Erklärungen! Sondern mit einem Kind, das wie alle Kinder dieser Welt seine Hände ausbreitet und behütet sein will. Unzählige Künstler haben dieses Motiv aufgegriffen und Jahr für Jahr freue ich mich an den vielen Weihnachtsbildern, die die Einfachheit und den Zauber dieser entscheidenden Geburt ausstrahlen. 

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Ich verstehe immer mehr, warum gerade die Hirten damals die ersten Adressaten der weihnachtlichen Botschaft waren. Sie wissen, was hüten und behüten bedeutet. Sie laufen als gute Hirten nicht einfach davon, wenn es brenzlig wird, und sind so nah bei den anvertrauten Herden, dass sie sogar ihren Geruch annehmen. Bei Wind und Wetter stehen sie draußen, sorgen besonders für die Schwachen in der Herde und haben dennoch alle im Blick. In der Öffentlichkeit aber sind sie nicht sehr angesehen, man hält sie eher für ein zwielichtiges Gesindel. Aber ausgerechnet diesen Randfiguren in öffentlichen Leben wird als erste die frohe Kunde von der Geburt des lang ersehnten Retters verkündet.

Kein Wunder, dass sich später einmal Jesus gerade mit diesen Hirten identifiziert. Er nennt sich selber einen „Guten Hirten“ und bekundet damit, wie er sich und sein Leben versteht. Er weigert sich nicht, der Hüter seines Bruders zu sein. Im Gegenteil. Er kümmert sich um die Menschen und überwindet dabei enge Grenzen, die nicht zuletzt eine fromme Gesinnung gezogen haben. Hüter des Bruders sein beutet für ihn: stehen bleiben und die Not eines anderen wahrnehmen; die Augen öffnen und fragen, was einer sucht oder braucht und seinen Mund aufmachen, wenn einem Menschen Unrecht geschieht.

Für mich sind die Hirten an den Weihnachtskrippen kein romantisches Beiwerk, das man nach Weihnachten wieder abräumt. Die Hirten sind bleibende Wegweiser zu Jesus, dem eigentlich“ Guten Hirten“., Bei ihm sind wir in besten Händen Jesus zeigt uns für das nun anbrechende Jahr wieder einen verlässlichen Weg.Die Hirten erinnern mich auch an die berühmteste Stelle aus dem Buch der Psalmen.  Damit lässt sich getrost das alte Jahr abschließen und gut behütet das kommende beginnen. .Da heißt es: “Der Herr ist mein Hirt, nichts wird mir fehlen. Er lässt mich lagern auf grünen Auen und führt mich zum Ruheplatz am Wasser. Meine Lebenskraft bringt er zurück. Er führt mich auf Pfaden der Gerechtigkeit, getreu seinem Namen. Auch wenn ich gehe im finsteren Tal, ich fürchte kein Unheil; denn du bist bei mir, (aus Ps 23)

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30075
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