SWR1 Begegnungen

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01JAN2020
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Annette Bassler trifft Dr. Dr. h.c. Volker Jung, Präsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau

Zauber des Anfangs
Heute ist alles auf Anfang gestellt. Auch für den Kirchenpräsidenten der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Dr. Volker Jung. Er steht für eine Kirche mit 1,5 Millionen Mitgliedern- das ist viel Arbeit und Verantwortung. Aber heute freut er sich einfach nur.

Ich freu mich eigentlich immer am 1. Januar, dass ein neues Jahr beginnt, weil ein neues Jahr auch immer neue Möglichkeiten eröffnet.

Und neue Chancen! Es anders machen, besser! Mehr Sport, gesünder essen- für mich gehört das immer dazu. Man muss nur wollen, dann schafft man es! Sagen manche. Und wenn es nicht klappt, dann liegt es eben an deinem Willen. Volker Jung sieht das anders.

Allein etwas zu wollen ist nicht die Kraft, die auch alles bewirkt… Glauben als eine Kraft, die alles bewirken kann, bedeutet ja nicht, dass allein der Glaube hilft, auch alle Dinge so zu sortieren und so hinzubekommen, wie wir es gerne hätten.

Disziplin und ein fester Wille sind prima. Aber damit haben wir nicht alles in der Hand. Weder unsre Gesundheit, noch unser Wohlergehen. Es braucht noch eine andere Kraft. Die Kraft Gottes, die uns über uns selbst hinauswachsen lässt. Das betrifft auch die Frage, wohin es gehen wird mit der Kirche.

Es gibt einen neuen Zukunftsprozess, weil wir uns darauf einstellen müssen, dass wir weniger Kirchenmitglieder haben, das ist eine Herausforderung, weil das bedeutet, dass man weniger Geld zur Verfügung haben wird.

Und was ihn am meisten umtreibt: es sind die jungen Leute, die sich von der Kirche abwenden, so das Ergebnis einer Studie. Und trotzdem ist die Situation für Volker Jung auch eine Chance.

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir auch wenn wir weniger sein werden, trotzdem noch gebraucht werden und dass wir als Kirche eine Botschaft haben, die es wert ist, sich neu darauf zu besinnen: was sind eigentlich unsere Aufgaben? Und so möchte ich diesen Prozess gerne angehen.

Bisher war die Aufgabe der Kirche vor allem, vom Gott der Bibel zu erzählen und sich um die Benachteiligten und Schwachen in unserer Gesellschaft zu kümmern. Mit großer Sorge nimmt Volker Jung eine zunehmende Spannung wahr. Er spürt einen Riß quer durch die Gesellschaft. Weniger ein Riß zwischen Arm und Reich. Er sieht einen Riß entlang der Frage: wie hältst du es mit dem Vertrauen?

Da sind auf der einen Seite Menschen, die plötzlich allem und jedem misstrauen. Und dann gibt es auf der anderen Seite diejenigen, die sagen: nein, Misstrauen macht Leben kaputt, zerstört Zusammenleben. Wir brauchen Vertrauen, wir brauchen Vertrauen, dass es auch für uns eine Zukunft gibt nur so können wir wirklich gestalten.

Und genau hier sieht er die Kirche besonders gefordert. Um Vertrauen werben in Zeiten der Verunsicherung und Angst. Und zwar Vertrauen in Gott.

Es bedeutet, sich einer Kraft anzuvertrauen, die größer ist als wir selber, die uns aber in die Lage versetzt, auch mit den Dingen zurecht zu kommen, die uns entgegenstehen.

Vertrauen wagen

Seit 11 Jahren ist Volker Jung oberster Repräsentant der evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. In dieser Zeit ist ihm viel Verantwortung zugewachsen. So ist er die Stimme der Evangelischen Kirche Deutschlands in Fragen der Medien, hat ein Buch übers Menschsein im Digitalen Zeitalter geschrieben. Und er erlebt, dass viele sich von der Kirche abwenden. Weil sie an den Gott der Bibel so nicht glauben können. Und weil sie mehr Zweifel als Glauben haben. Die Jahreslosung der Kirchen für das Jahr 2020 bringt es auf den Punkt.

Die biblische Jahreslosung „Ich glaube, hilf meinem Unglauben“ drückt das für mich aus, dass es da auch immer ein Wechselbad gibt und der Glaube nichts ist, was wir einfach verfügbar haben, sondern auch immer zugleich mit dem Zweifel konfrontiert ist. Und es ist trotzdem die große Ermutigung, grade aus dieser Geschichte heraus, sich Gott anzuvertrauen.

In der Geschichte bittet ein Vater Jesus darum, seinen kranken Sohn zu heilen. Aber er hat Zweifel, ob Jesus das kann. Heute fragen sich viele: wer kann Gott für mich sein?
Volker Jung sieht das so

Die Gottesfrage ist für mich eigentlich die große Vertrauensfrage. Kann ich mich Gott anvertrauen, sodass ich sage: ich spüre an mir selber: das Leben ist für mich ein Geschenk, da ist mir was gegeben worden, da bin ich selbst Teil einer Kraft, die das Leben gestaltet. Und auf diese Kraft vertraue ich.

Aber was tun, wenn die Zweifel einfach übermächtig sind?

Für mich ist das Gebet der Ort, wo ich auch diese Zweifel in Worte fasse oder dem Ausdruck gebe und mich dann selbst wieder an Gott klammere und sage Gott bitte erhalte mir mein Vertrauen, grade in solchen schwierigen Situationen.

Manchmal geht mir das auch so. Da rufe ich nach Gott, obwohl ich in dem Moment gar nicht daran glaube, gehört zu werden. Doch schon das Rufen löst etwas von meinem Lebenskrampf. Für Volker Jung ist es eine Grundhaltung. Den Kontakt mit Gott suchen und mit ihm im Kontakt bleiben, auch wenn man es nicht glaubt. Ich glaube, hilf meinem Unglauben.

Wenn man es im Glauben lebt, spürt man immer wieder, wie grade in solchen Momenten des Zweifels auch neues Vertrauen entstehen kann und auch neue Kraft zukommen kann.

Vertrauen haben ist für Kinder selbstverständlich. Für Erwachsene nicht. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass Vertrauen auch missbraucht werden kann. Deshalb ist Vertrauen immer auch ein Risiko. Aber es gibt nichts Wichtigeres, als es immer neu zu wagen. Das wünscht Ihnen Volker Jung für das neue Jahr.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie mit Vertrauen in dieses neue Jahr gehen können. Und ich wünsche Ihnen ganz besonders, dass Sie spüren, wie Gott Ihr Vertrauen stärken kann, wie Ihnen von Gott Lebenskraft und Hoffnung zukommt und dass Ihnen das auch Zuversicht schenkt, sich den Fragen zu stellen, die wir uns alle gemeinsam stellen müssen, nämlich eine gute Zukunft miteinander zu suchen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30049
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