SWR3 Gedanken

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09JAN2020
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„Ich gehe nicht wählen.“ Das hat vor Kurzem mein Freund Daniel zu mir gesagt. Ich habe erst gedacht, ich höre nicht richtig. „Warum nicht?“ frage ich. Er sagt: „Weil meine Stimme nichts zählt. Statistisch gesehen ist es vollkommen egal, ob ich meine Stimme bei einer Bundestagswahl abgebe, oder nicht. Das Wahlergebnis bleibt praktisch das gleiche. Da nutze ich die Zeit doch lieber sinnvoller.“

Andere Menschen um uns herum schalten sich ins Gespräch ein. Sie sind anscheinend genauso irritiert wie ich. Wir versuchen meinen Kumpel zu überzeugen: Was wäre, wenn jeder so denken würde? „Dann würde ich wählen gehen“, sagt Daniel „weil dann wäre meine Stimme ja wieder ausschlaggebend.“ Wir diskutieren eine ganze Stunde mit ihm weiter, aber da ist nichts zu machen. Er bleibt dabei: Wählen geht er nicht.

Ich verstehe, was er meint. In anderen Bereichen ist es ja auch so. Plastik vermeiden zum Beispiel: Da rette ich den Pazifik auch nicht allein. Oder wenn mich am Bahnhof jemand um einen Euro bittet: Das gesamte Armutsproblem in unserer Gesellschaft behebe ich damit nicht. Aber ich finde, dass trotzdem beides sinnvoll ist. Und nur, weil ich alleine die Welt nicht rette, muss ich’s ja nicht ganz bleiben lassen.

In der Diskussion mit Daniel habe ich mich trotzdem hilflos gefühlt. Ich habe danach lange überlegt, wie ich andere Leute von etwas überzeugen kann, auch wenn es vollkommen unwahrscheinlich ist, dass sich deshalb plötzlich die ganze Welt ändert. Ich habe aber auch gemerkt, wie gut es tut zu wissen, dass ich mit meiner Position nicht alleine dastehe. Zu wissen, dass viele andere Menschen aus Überzeugung Dinge tun, die erstmal völlig aussichtslos oder belanglos scheinen. Ich bin davon überzeugt: Wenn ich wählen gehe, wenn ich spende, oder wenn ich auf Plastik verzichte, damit rette ich nicht unbedingt die Welt. Aber verändern kann ich sie damit schon.

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