SWR2 Wort zum Tag

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Wie kann ich Schuld empfinden? Joachim Fest, der vor drei Wochen verstorbene Publizist und Historiker, hat auf diese Frage in einem Interview im Frühjahr eine überraschende Auskunft gegeben. Fest hat sich wie kein zweiter in die Biographien von Adolf Hitler und dessen Baumeister Albert Speer hinein gedacht und hinein empfunden. Dabei ist er immer wieder auf die Frage gestoßen, warum Speer so oft und so lange seine Mitschuld an den nationalsozialistischen Verbrechen geleugnet hat und dann erst sehr zögerlich seine Schuld eingestehen konnte. Fests erste Erklärung lautet: „Speer verstand eigentlich nicht, was »Schuld« bedeutet. ... Speer sprach von seiner »Schuld«, weil sich das so gehörte - aber er wusste nicht, wovon er sprach.“ Nach Fest kann ein Mensch offenbar eigene Schuld erklären und eingestehen, ohne recht eigentlich zu wissen, was Schuld wirklich ist. Wie kann das sein? Fest weiter:
„Speer war ein moderner agnostischer Mensch und wusste mit dem, was Schuld im strengen Sinn bedeutet, überhaupt nichts anzufangen. ... Mit der metaphysischen Dimension, die zu jeder ernsthaften Vorstellung von Schuld gehört, konnte Speer nichts anfangen. Dass Schuld erst durch eine übernatürliche Instanz ihre besondere Bedeutung, ihre Schärfe bekommt, hat er nie begriffen. “
Um „Schuld im strengen Sinn“ wissen – heißt nach Fest – vor Gott Schuld empfinden. Für Fest haben unsere Taten und Untaten nicht nur eine zwischenmenschliche Dimension und können so weit nötig nach eigenem Gutdünken verheimlicht oder eingestanden werden, sondern sie geschehen vor dem, der unsere Gedanken von Ferne versteht, dem wir uns auch nicht durch Rhetorik oder andere Inszenierungen entziehen können – in Ewigkeit. Erst vor IHM, so verstehe ich Fest, empfinden wir ernsthaft Schuld. Fests Gedanke verbindet sich für mich mit einem Wort aus Psalm 51. Da heißt es: „An dir (erg.:Gott) allein habe ich gesündigt und übel vor dir getan.“ (Psalm 51,6) Schuld vor Gott erkennen - unter Tränen den eigenen Abgründen begegnen – das ist alles andere als einfach, keineswegs „easy“. Schuld zu verschweigen ist äußerst schmerzhaft - sie vor Gott zu erkennen und auszusprechen, ausgesprochen heilsam. Im 32.ten Psalm finden sich Worte für genau diese Erfahrung:
„Denn als ich es wollte verschweigen,
verschmachteten meine Gebeine durch mein tägliches Klagen.
Darum bekannte ich dir meine Sünde,
Ich sprach: Ich will dem HERRN meine Übertretungen bekennen.
Da vergabst du mir die Schuld meiner Sünde.“ (Psalm 32,3+5) https://www.kirche-im-swr.de/?m=3
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