SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

17DEZ2019
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„Ah, mei Mädsche, die Jugend kommt“, sagt er stockend. Ich umarme ihn im Rollstuhl. Es riecht nach Urin und Multivitaminsaft. „Bin ja selber jung“, lacht mein Onkel, „werd gefüttert, gewickelt, bin wie ein Kind - nur alt“. Trainer der deutschen Dreispringer ist er gewesen. Lange her die olympischen Zeiten. Für ihn manchmal nicht. „Ich muss zum Training“, sagt er mit seinen 80 Jahren oft zu den Pflegern.

Was früher war, behält er besser als alles im Hier und Jetzt. „Das liegt am Bums“, erklärt er, „einfach umgefallen“. Mit knapp 50. Da steht sein Herz einige Takte still. Und der Dreispringer ist zurück gesetzt auf Anfang. Ein Bett. Eine zweite Geburt. Ein Wunder, wieder aufzuwachen. Laufen, springen, sprechen… alles weg.

„Aber, ich hab´gekämpft!“ Er strahlt sich jede Falte weg. „Doch ohne meine Lore hätte ich es nie geschafft“. Meine Tante lächelt leise, auch wenn ihr manchmal zum Weinen ist. Denn wie viele Pflegebedürftige mit Demenz ist er oft böse - besonders auf die, die er am meisten liebt. „Ich will euch tragen bis ins hohe Alter und bis ihr grau werdet“, verspricht Gott in der Bibel. Manchmal ist das kaum zu glauben und das Älterwerden schwer zu ertragen.

Doch während mein Onkel erzählt, wird er wieder zwanzig. „Bald fahren wir Ski, ja?“, fragt er. Ich nicke und seufze innerlich. Er merkt es und sagt: “Vielleicht warten wir noch, bis du fitter bist“. Wir lachen herzhaft. Ein paar Tage später ist er gestorben. Sein Lachen fehlt mir, sein Lebensmut bleibt mir.

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