SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

10DEZ2019
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Der Dezember ist der dunkelste Monat im Jahr. Die Tage werden immer noch kürzer, bis am 22. endlich die Wende eintritt. Auch in diesem Jahr sehne ich die Wintersonnenwende sehr herbei. Ich merke deutlich, wie es mir auf die Seele drückt, wenn es so wenig hell ist und an manchen Tagen die Sonne sich gar nicht sehen lässt. Dann werden meine Gedanken leicht trüb, es wird eng in mir und ich frage mich: „Schaffe ich alles, was ich tun soll? Oder holen mich die Erinnerungen an schwere Zeiten ein? Bin ich meinem Leben alles in allem gewachsen?“ Wenn ich fürchte, es könnte nicht so sein, an solchen Tagen hänge ich ziemlich in den Seilen. Und grüble, warum das so ist und warum es mir so zu schaffen macht. 

Ich habe einmal meiner besten Freundin davon in einem Brief geschrieben. Und sie hat mir prompt geantwortet. Sie hat mir gesagt, wie wichtig es (für sie) ist, dass ich so offen darüber spreche. Sie hat mir Verständnis signalisiert, obwohl es ihr selbst nicht so geht wie mir. Dafür hat sie mir von den Sorgen erzählt, die sie gerade beschäftigen in ihrer Familie. Und am Ende, als Schlusssatz hat sie geschrieben: „Ich liebe dich.“ Das ist eine starke Aussage. Und ich bin mir darüber im klaren, dass sie unterschiedliche Phantasien, ja Unterstellungen auslösen kann. Meine Freundin ist glücklich verheiratet. Wir kennen uns seit fünfzig Jahren, ich habe sie getraut und ihre Kinder getauft. Wir sind beste Freunde. Aber das hatte sie vorher noch nie zu mir gesagt. Obwohl ich es hätte wissen müssen, weil wir schon immer eine große Nähe zueinander hatten. Wir sind im besten Wortsinn „Vertraute“. Trotzdem hat mir das mit der Liebe zu denken gegeben. Es ist die Seite, die ich oft vergesse oder übersehe oder verdränge. Ich bleibe dann an dem hängen, was schwierig sein könnte. In den Wintermonaten noch mehr als das restliche Jahr über. Dabei ist es eben so bei mir und allen Menschen: Das Dunkle gehört auch zu meinem Leben. Es ist verkehrt anzunehmen, dass ich davon verschont bleiben könnte. Und je mehr ich mich darüber zermartere, desto schwerer wird’s mir ums Herz. Es gibt aber auch das andere. Immer. Dass Menschen für mich da sind, wenn ich sie brauche. Dass gute Kräfte in mir sind, auch wenn ich sie gerade kaum sehe. Dass Gott mich so gemacht hat und mich nicht fallen lässt.

Meine Freundin hat mich mit der Nase drauf gestoßen. Mit ihrem kleinen großen Satz von der Liebe. Den trage ich nun als Schatz mit mir herum. Und wenn es mir wieder einmal schlecht geht und ich in ein Loch zu fallen beginne, dann hole ich mit ihrem Satz das Gute und Schöne hervor, das in meinem Leben immer auch da ist.

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