SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

09DEZ2019
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Mein Schlafzimmer geht nach Norden. Die Sonne sehe ich von dort aus nie. Aber ich sehe, was von der Sonne angestrahlt wird, was zu leuchten beginnt, weil das Licht der Sonne es zum Leuchten bringt. Hin und wieder bleibe ich dann ein paar Momente länger im Bett liegen und lasse das Schauspiel der Natur auf mich wirken. Wenn im Frühjahr die ersten Grashalme aus dem Boden sprießen und nicht mehr das Grau vorherrscht, sondern ein zartes Grün durchs Fenster schimmert. Im Sommer ist es manchmal schon frühmorgens gleißend hell, so dass ich die Augen zukneifen muss, damit ich überhaupt etwas sehe draußen. Besonders schön sind die Farben im Herbst, wenn die Blätter am Kirschbaum in allen Rottönen leuchten und es dadurch ganz warm wird in meinem Schlafzimmer. Und im Winter glitzert manchmal der Schnee herein.

Das alles macht die Sonne. Der Stern unseres Planetensystems, ohne den nichts leben würde auf der Erde. Das spüre ich manchmal so deutlich, dass ich die Welt am liebsten umarmen würde, die da durchs Schlafzimmerfenster hereinscheint. Das muss der Grund sein, weshalb die Römer die Sonne als Gott verehrt haben. Und die Christen schnurstracks auf den Festtag des römischen Sonnengottes das Geburtsfest Jesu Christi gelegt haben. Da an Weihnachten ist den Christen die Sonne aufgegangen, die die ganze Welt in ein Licht taucht, das niemals untergeht. Und auch das funktioniert im Grunde so wie mit dem Licht, das in mein Schlafzimmer fällt.

Wir sehen Gott nicht direkt. Auch seinen Sohn Jesus nicht, seine irdische Zeit war vor 2000 Jahren. Aber was wir sehen können, ist der Widerschein, der immer noch davon ausgeht. Die Welt wird noch immer von Gott angestrahlt, und etwas von seinem Licht spiegelt sich in den Dingen wider. Ein Chor, der zur Ehre Gottes wundervoll singt. Die syrische Familie in meiner Nachbarschaft, die nach einer Odyssee durch halb Europa endlich vereint ist. Besonders merke ich das dann, wenn mich eine Sache ganz froh macht. Zum Beispiel wenn jemand mir sein Herz ausschüttet und es ihm am Ende besser geht als vorher. Oder wenn ich mit einem alten Freund herumblödle und wir so herzhaft lachen, dass wir die ganze Welt um uns herum vergessen. Auch beim Spazierengehen mit meinem Hund sehe ich das; wenn uns Kinder begegnen und eine große Freude daran haben, meinen pelzigen Gefährten anzuschauen und zu streicheln.

Bestimmt haben Sie einen Adventskranz daheim oder einen Tannenzweig mit Kerzen. Auch das Licht dort brennt, um an Gott zu erinnern, der noch in den finstersten Winkel unserer Welt seinen Strahl sendet.

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