SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

08DEZ2019
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Heute ist ein Marienfeiertag, der besonders in Lateinamerika begangen wird: Mariä Unbefleckte Empfängnis. Was meint dieses Fest?      

Die Bibel sagt, dass der Mensch von Anfang an immer wieder der Versuchung erliegt, sein zu wollen wie Gott. Die Folge: Dann will er sich durchsetzen ohne Rücksicht auf andere, will andere beherrschen oder auf Kosten anderer leben.

Jesus ist das Gegenbild eines solchen in sich verkrampften Lebens. Er ist offen, schenkt sich, kurz: er liebt. So entdeckt und entfaltet er im Andern eben diese Kraft: zu lieben und dadurch die Welt heller zu machen. Dann beutet einer den andern nicht aus, er fürchtet nicht mal den Rivalen. Er sieht im Andern dasselbe Abbild Gottes wie in sich selbst und weiß: der Andere nimmt mir nichts, im Gegenteil: er bereichert mich.

Ich hab unlängst einen Freund beerdigt, der das alles ausgestrahlt hat. Er war kein Christ, auch nicht getauft, aber ich sah in ihm einen Menschen, den Gott erwählt hat, sein frohes und liebevolles Herz auszustrahlen.

Ja, Gott hat ihn erwählt, und ich bin froh, dass das heutige Marienfest im Deutschen inzwischen einen weniger missverständlichen Titel hat: statt „Mariä Unbefleckte Empfängnis“ „Mariä Erwählung“. Ja, Gott hat Maria samt Josef, ihren Mann, erwählt, Jesus zur Welt zu bringen. Dieser Jesus von Nazareth hat in seinem Leben gezeigt, dass das letzte Wort in dieser Welt nicht Gewalt heißt, sondern Liebe, nicht Ausbeutung sondern Solidarität, nicht Hass sondern Verstehen. Das waren für Jesus nicht große Worte. Er hat es in seinem Verhalten den Menschen gegenüber gezeigt. Gerade die am Rand der Gesellschaft haben gespürt: ich bin wer, ich darf sein – trotz meiner Vergangenheit.

Die Lateinamerikaner haben ihren missverständlichen Titel „Inmaculada Concepción“, also unbefleckte Empfängnis. Dabei ist wichtig zu sehen, dass „unbefleckt“ nichts mit Sexualität zu tun hat. Die „Flecken“ meinen all das, was uns im Leben oft zu schaffen macht: wenn einer eine unlautere Absicht hat, uns was unterstellt, was wir gar nicht sind. Oder wenn wir selber im Anderen nur Negatives sehen, weil unser Blick getrübt ist oder eine ungute Erfahrung uns quält. Dann sind wir einfach nicht echt, nicht authentisch – so wie wir sind. Dann trüben dunkle Flecken unsere Begegnungen.

 

  1. Teil

Ich spreche heute in den SWR 4 – Sonntagsgedanken über das Fest Mariä Erwählung. Ich hab mal mit meinem Neffen ein Problem gehabt. Wir waren Skifahren, und er sollte sich mittags in der Skihütte etwas zum Essen auswählen, aber er konnte sich nicht entschließen. Das hat mich „narred“ gemacht, und er fühlte sich unverstanden von mir. Zum Glück konnte ich das später mit ihm besprechen, seither verstehen wir uns wunderbar. Was war passiert?

Er hat mir durch sein Verhalten etwas aufgezeigt, was mir als Jugendlichem zu schaffen gemacht hat. Ich bin nicht erzogen worden zu wählen und mich für etwas zu entscheiden, sondern zu gehorchen. Deshalb hab ich mich lange schwer getan zu entscheiden, wenn ich zwei Möglichkeiten hatte. Ich war unsicher, und diese Unsicherheit hat mich an meinem Selbstwertgefühl zweifeln lassen. Ich hab mich nicht angenommen gefühlt, so wie ich bin, geachtet, erwünscht.

Erwählt zu sein, erwünscht zu sein, das gibt ein gutes Gefühl. Wenn ich mich unerwünscht fühle, bin ich in Gefahr, dieses Minderwertigkeitsgefühl ausgleichen zu wollen. Dann will ich mich beweisen, indem ich Macht über andere ausübe. Manche Menschen sind zu schlimmen Diktatoren geworden, weil sie sich nicht wertgeschätzt gefühlt haben. Auch in unserer gegenwärtigen politischen Lage entstehen manche Auseinandersetzungen, Streitigkeiten und Kriege, weil Menschen sich minderwertig fühlen oder nicht genug geschätzt von andern.

Mich ermutigt das heutige Fest von Mariens Erwählung, in meinem Umfeld zu schauen, wo ich beitragen kann, dass andere Menschen sich erwählt und erwünscht fühlen. Ich hab da besonders die Kinder im Blick – vielleicht auch deshalb, weil ich mich als Kind manchmal mies gefühlt habe, wenn ich etwas nicht konnte. Ich hab im Sport und im Zeichnen keinerlei Fähigkeiten gehabt und manche meiner Mitschüler beneidet. Zum Glück hab ich dann Klavierspielen gelernt. Dann konnte ich mit der Zeit auch andere neidlos bewundern wegen ihrer Fähigkeiten, die ich nicht hatte.

Die Erwählung Mariens zeigt mir noch einen weiteren Aspekt. Gott erwählt ein einfaches Mädchen aus einem Volk, das keinerlei politische Bedeutung hat, sondern von der römischen Weltmacht besetzt ist. Diese Machtlosigkeit begegnet der Gefahr, sich selbst für allein richtig zu halten und andere für minderwertig oder verachtenswert. Auch das ist eine Folge der Urschuld, selber sein zu wollen wie Gott.

Das heutige Fest sagt dagegen: Gott achtet jeden Menschen als sein geliebtes Geschöpf, ob er in der Welt eine Rolle spielt oder ganz unscheinbar ist. Das gibt mir einen großen Respekt vor jedem Menschen, egal welche Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht, Religion oder politische Richtung er hat.  Darum ist das heutige Marienfest für mich ein Fest der Hoffnung auf eine bessere Welt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=29930
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