SWR2 Wort zum Tag

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07DEZ2019
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Die Adventszeit hat für die meisten Erwachsenen noch einen Hauch von Zauber. Von dieser besonderen Stimmung darf man sich ruhig ergreifen lassen. Keiner sollte sich schämen für Rührung, die sich in diesen Tagen einstellen mag. Selbst nicht für Tränen. Schließlich erzählt die Adventszeit eine besondere Geschichte. Sie erzählt vom Warten auf ein Kind, das die Verhältnisse umdreht. So dass die, die sich schämen über sich selbst, aufmerken und sich freuen dürfen. Gerade auch die, die sich mit Tränen in den Augen freuen.

In einem alten Adventslied heißt es: „Es kommt ein Schiff geladen, bis an sein höchsten Bord, trägt Gottes Sohn voll Gnaden.“ Das ist ein ganz anrührendes Bild. Ein Schiff, voll beladen mit Gnade. Und diese Gnade gilt allen Menschen, auch mir. Das Lied ist ganz besonders komponiert, es wechselt die Tonart, von d-Moll zu F-Dur. Schon musikalisch wird somit dieser fröhliche Wechsel beschrieben, der die Verhältnisse umdreht. Wenn ich mich eben noch beschämt fühlte, darf ich jetzt aufblicken. Gott sieht seine Menschen freundlich an. Obwohl er bis ins Herz schaut. Und es darin manchmal ziemlich düster aussieht.

Vielleicht ist es die größte Herausforderung sich vorzustellen, dass Gott seine Menschen trotz aller finsteren Herzensabgründe nicht beschämen will. Auch wenn wir allen Grund haben mögen, uns zu schämen. Ich glaube daran, dass Gott seine Menschen nicht bloßstellen will. Weil jeder Mensch sein geliebtes Geschöpf ist und bleibt. Selbst ein schlechtes Gewissen darf diese Liebe nicht zerstören. Übrigens auch nicht ein gutes Gewissen. Manchmal ist das am gefährlichsten. Mancher, der auf seinem guten Gewissen einschlummerte, wachte als bornierter Spießbürger wieder auf.

Wenn ich beschämt werde, senke ich den Kopf. Das Gegenteil bedeutet, aufrecht zu leben. Den Kopf zu heben. Ich merke, dass mir das einen freien Blick schenkt und Lust, das Leben und Gott zu loben. („Gelobet muss es ein“ singt das Adventslied über das Kind, auf das Christinnen und Christen im Advent warten.) Und es gibt so viel Grund, das Leben und Gott zu loben. Da ist alles, was das Leben schön macht und reich. Die Geburt eines Kindes, ein Lächeln der Liebe, das Glück über eine gelungene Prüfung, die Umarmung nach langer Fremdheit, eine überstandene Krankheit, die Treue einer Freundin und eine Zeit im Gebet, ein morgendlicher Gang durch die noch stille Stadt. Nächtliches Glitzern der vielen Lichter. Da ist diese unbegreifliche Fülle des Lebens. Wie gut auch, wenn ich weiß, wem ich dafür „Danke“ sagen kann in diesem Advent.

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