SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

27NOV2019
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Es ist nass - grau, Novemberfeeling. Ich bin in Berlin auf einem Friedhof. Weil ich dort den Gedenkstein von jemandem besuchen möchte, der mir in meinen nass-grauen Zeiten schon oft Hoffnung geschenkt hat. Mit einem Lied. Es ist der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer. Er ging mit der „Bekennenden Kirche“ in den Widerstand gegen Hitler und wurde deshalb 1945 im KZ Flossenbürg umgebracht. Vor 75 Jahren schrieb er jenes Lied im Kellergefängnis des Reichssicherheitshauptamtes, das mir noch heute Mut macht: „Von guten Mächten wunderbar geborgen.“

Ich habe es zum ersten Mal auf der Beerdigung einer Freundin gesungen, die bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist. Als ich keine eigenen Worte mehr hatte für das Unfassbare, was da geschehen war. Ich mag das Lied auch deshalb, weil es nichts beschönigt: „Noch drückt uns böser Tage schwere Last. Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen das Heil, für das du uns geschaffen hast.“

Aufgeschreckte Seele, das trifft das Gefühl gut, dass ich nach dem Unfall hatte. Als ich an dem Gedenkstein Bonhoeffers auf dem Friedhof in Berlin-Mitte stehe, muss ich wieder daran denken. Und daran, wie mir Bonhoeffers Lied damals und auch heute eine Perspektive schenkt. Eine Perspektive aus dem christlichen Glauben, ohne die ich nicht leben kann. Bonhoeffers Verse sind nicht Vertröstung auf ein Jenseits, um die Hände in den Schoß zu legen. Sondern sie sind Trost und Kraftquelle, um auch heute gegen Unrecht den Mund aufzumachen. In dem Glauben, dass Not, Verlust und sogar der Tod nur das Vorletzte sind. Und dass das Letzte noch auf mich wartet. Das lässt mich wie Bonhoeffer auch in schweren Zeiten hoffen: „Von guten Mächten wunderbar geborgen erwarten wir getrost was kommen mag – Gott ist mit uns am Abend und am Morgen. Und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=29851
weiterlesen...