SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

29NOV2019
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„Gott gibt die Hoffnung niemals auf, dich noch glücklich zu machen“ – was für ein Satz! Großartig und doch auch irgendwie unglaublich!
Dieser Satz stammt aus einem Text meines Schülers aus der fünften Klasse und begleitet mich seit nun mehr als vier Wochen. Meine Fünftklässler*innen sollten ein Bild oder einen Text schreiben, in dem sie erzählen, wie oder was Gott für sie ist. Wir sprechen viel darüber, dass Gott ja nicht so richtig gesehen werden kann wie ein Mensch, der direkt vor mir steht; und sich Gott trotzdem manchmal ganz nah anfühlt. Wenn ich mit meinen Schüler*innen über Gottesbilder spreche – und dabei ist es ganz egal, ob es Fünftklässler*innen oder Abiturient*innen sind – dann bin ich immer fasziniert, wie klar das manche für sich haben, wer Gott für sie ist. Natürlich thematisieren die Schüler*innen dabei auch oft die klassischen Gottesbilder – der gute Hirte oder der alte Mann im Himmel; manche sagen auch einfach irgendetwas, weil sie das Gefühl haben, mir als Lehrerin eine Antwort schuldig zu sein. Aber dieser Satz „Gott gibt die Hoffnung niemals auf, dich noch glücklich zu machen“, der hat mich wirklich tief berührt. Denn der zeigt, was für ein tiefes Vertrauen dieser elfjährige Junge in Gott hat. Und wie groß dagegen meine persönlichen Zweifel sind.

Meine Zweifel an Gott und meine Zweifel daran, dass er es gut meint mit uns auf dieser Welt. Manchmal zweifle ich, ob er es wirklich noch vorhat, uns glücklich zu machen, wenn ich sehe wie Menschen aus ihrer Heimat vertrieben werden, Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken und Familien auseinander gerissen werden. Das tut weh und macht mich wirklich ratlos. Das verstehe ich nicht.

Jeden Tag lese ich in der Zeitung von solchen furchtbaren Nachrichten – und jeden Tag schockieren mich diese Nachrichten aufs Neue. Aber auch wenn ich nicht verstehe, dass so etwas passieren kann auf dieser Welt: Ich möchte auf keinen Fall meine Hoffnung auf einen liebenden und friedvollen Gott aufgeben!

Denn wenn ich das Gefühl habe, ohnmächtig zu sein, nichts tun zu können und dieses Leid kaum aushalte, dann wende ich mich an Gott. Dann komme ich zu ihm jeden Tag mit all den furchtbaren Nachrichten aus der Zeitung. Wenn ich wütend bin, klage ich meinen Gott an, wenn ich traurig bin, weine ich bei ihm, wenn ich sprachlos bin, dann bin ich bei ihm ohne Worte und habe das Gefühl, er weiß trotzdem was ich meine. Genau das ist mein Gebet zu Gott. Bei dem ich alles sein darf, was ich bin – und manchmal eben auch die größte Zweiflerin weit und breit.

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