SWR4 Abendgedanken

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26NOV2019
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„Frauen werden anders krank als Männer“ – diese Überschrift lese ich in der Süddeutschen Zeitung. Natürlich werden Frauen anders krank, denn unser Körper ist ja auch anders als der der Männer. Der Artikel sagt: Genau das ist das Problem. Weil mein Frauenkörper so anders funktioniert als der Männerkörper, entsprechen wir Frauen auch nicht dem, was in der Medizin Standard ist. Denn der Standard, die Norm der Medizin, ist der Mann. Deutlich wird das beispielsweise bei den Nebenwirkungen von Medikamenten. Die werden nämlich größtenteils nur an Männern getestet; deshalb entwickeln auch mehr Frauen Nebenwirkungen, denn an ihren Körpern ist das Medikament ja nicht getestet worden.

Nicht der Norm entsprechen, anders sein – das führt oft dazu, dass jemand ausgeschlossen oder benachteiligt wird. So wie Frauen das in der Medizin passiert, passiert das auch Männern in der Psychiatrie. Denn psychische Krankheiten wurden lange Zeit eher als weibliches Problem erkannt und weniger als männliches. Weil Männer anscheinend stabil und unverletzbar sein müssen.

Ich muss also der Norm entsprechen, sonst funktioniere ich nicht im Gesundheitssystem. Das macht mich wütend. Genauso wie es mich wütend macht, wenn meine männlichen Freunde um mich herum den Druck verspüren, als Mann beruflich erfolgreich sein zu müssen. Oder dass ich als Frau in meiner Kirche beruflich benachteiligt werde. Aber ich lasse nicht zu, dass meine Wut mich ohnmächtig macht. Weil ich an einen Gott glaube, der uns alle als Menschen, als sein Abbild geschaffen hat. Wir sind alle wertvoll, ausnahmslos. Weil ich Christin bin, habe ich den Auftrag angenommen, mich für die Würde jedes Menschen stark zu machen. Das bedeutet für mich ganz konkret: Ich achte darauf, dass ich als Lehrerin meine Schüler*innen gleich behandle, auch wenn es mir manchmal schwer fällt, mein Schubladendenken abzulegen. Ich lache nicht, wenn meine Tochter sagt, dass Jungs doof sind, sondern versuche ihr zu erklären, dass sie Jungs respektvoll begegnen soll; ich wehre mich, wenn ich den Eindruck habe, dass ich aufgrund meines Geschlechts angegriffen werde; und am wichtigsten: Ich greife ein wenn ich sehe, dass jemand ausgeschlossen wird, weil er oder sie anders ist und nicht der Norm entspricht.

Frauen werden anders krank als Männer. Ja das ist so. Und deshalb: Gott sei Dank gibt es die geschlechtersensible Medizin, die einiges dafür tut, damit das nicht zum Nachteil wird. Doch um die vielen anderen Bereiche, in denen wir anders sind, müssen wir uns auch noch kümmern.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=29838
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