SWR2 Wort zum Tag

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21NOV2019
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Die morgendliche Zeitungslektüre. Sie gehört für mich zum Frühstück dazu wie die Tasse Kaffee oder Tee. Der erste Blick über die Schlagzeilen. Politik. Kultur. Gemischtes. Die weite Welt ausgebreitet auf einem Bogen Zeitung in meinen Händen.

Es dauert nicht lange, und ich schlage die Seite mit den Todesanzeigen auf. Früher habe ich schnell darüber hinweg geblättert. Jetzt ist es so, dass ich bei den Todesanzeigen verweile.

Ist es das fortgeschrittene Lebensalter? Ich schaue auf die Lebensdaten, das Geburtsjahr des Verstorbenen. Was war ihm oder ihr geschenkt an Lebenszeit? War er oder sie in meinem Alter? Oder gar jünger?
Es berührt mich, was die Hinterbliebenen einem Verstorbenen hinterherrufen. Ein Sinnspruch. Ein Bibelvers. Etwas, das trösten soll.

Todesanzeigen sagen viel aus über das Leben, finde ich. Ich habe das beim Tod meiner Eltern zum ersten Mal richtig gespürt, was es heißt, so eine Anzeige selbst entwerfen zu müssen. Denn da bin ich gefragt zu sagen, was mich trägt. Über den Verlust hinweg. Und worin meine Hoffnung liegt.

Mitten in der morgendlichen Zeitungslektüre erlebe ich so ein „Memento mori“. Den Impuls: denke daran, dass auch dein Leben endlich ist! Wie oft noch wirst Du morgens die Zeitung aufschlagen und über Andere lesen?

Eine der Anzeigen der letzten Tage hat mich besonders berührt. Da war ein Vers zitiert von dem schwäbischen Dichter Ludwig Uhland. Er hat ihn aus Anlass des Todes eines Kindes geschrieben. Er lautet: „Du kamst, du gingst mit leiser Spur, ein flücht'ger Gast im Erdenland; woher? wohin? wir wissen nur: aus Gottes Hand in Gottes Hand.“

Anrührend finde ich das unaufdringliche Vertrauen, das aus diesen Worten Uhlands spricht. Keine stumme Trauer. Nichts von Endstation. Sondern das Wissen um das bleibende Aufgehobensein beim Schöpfer meines Lebens.

Schön, so etwas bei der morgendlichen Zeitungslektüre zu entdecken. Ja, sie hilft mir, mich mit einem Blick zu orientieren über das, was los ist in der Welt.

Aber auch dazu, inne zu halten. Einen Moment lang fasse ich meine eigenen Lebensdaten in den Blick. Das Datum meiner Geburt weiß ich. Das meines Todes nicht. Aber dann doch dieses: „Aus Gottes Hand, in Gottes Hand“. Und das, finde ich, ist genug.

 

 

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