SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

Wenn ich ihn sehe, dann lege ich ihm schon mal fünfzig Cent oder mehr in seinen abgenutzten Karton. Oft steht er damit am Sonntagmorgen vor dem Eingang zu unserer Kirche. Er steht nur da, sagt nichts. Manchmal trägt er noch ein Schild bei sich: Ich habe Hunger. Danke! Lange Zeit stand er nur vor der Kirche, doch inzwischen kommt er auch hinein. Wenn alle Gottesdienstbesucher drin sind, dann setzt er sich als Letzter still an das Ende einer Bank. Versunken sitzt er da, hört dem Gesang zu, lauscht der Predigt. Kurz vor Schluß geht er dann hinaus und steht wieder da mit seinem abgegriffenen Karton.
Leuten wie ihm hat Jesus sich zeit seines Wirkens besonders verbunden gefühlt. Den Armen nämlich, den Gescheiterten und aus der Bahn Gefallenen galt sein besonderes Interesse. Nicht nur mit Worten, sondern auch durch seine Taten hat er das immer wieder betont. Genau diese Geschichten sind es, die mir immer wieder einfallen, wenn ich ihn da in seinen verschmutzten Klamotten in der Kirchenbank neben all den gut gekleideten Kirchenbesuchern sitzen sehe. So wird er ungewollt zu einer lebenden Predigt, ohne auch nur ein Wort zu sagen.
Ob sich der Sonntagmorgen finanziell lohnt für ihn, weiß ich nicht. Aber ich glaube, dass er auch nicht nur des Geldes wegen kommt. Ab und zu nimmt er wohl auch etwas anderes mit aus dieser Kirche. Zum Beispiel die Worte aus einer der berühmtesten Reden Jesu: Selig, die da arm sind vor Gott. Denn Ihnen gehört das Himmelreich.

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