SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

13NOV2019
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Manchmal frage ich mich: Sind wir eigentlich da zuhause, wo wir leben? Und wie weit reicht unser Gefühl von Heimat? Nur bis zu unserer eigenen Haustür? Und was führt dazu, dass ich über ein Dorf oder eine Stadt sagen kann, ich fühle mich hier zuhause? Ich glaube, das ist für viele Menschen gar nicht so leicht zu beantworten. Das könnte daran liegen, dass es normal geworden ist, mobil zu sein. Heute hier, morgen dort. Zumindest für diejenigen, die noch nicht im Ruhestand sind. Ich habe in den vergangenen zehn Jahren an drei unterschiedlichen Wohnorten gelebt und pendle obendrein jeden Tag zwischen Wohn- und Arbeitsort. Damit bin ich in bester Gesellschaft: derzeit wechseln jährlich mehr als 8 Millionen Menschen ihren Wohnort; und 13 Millionen pendeln täglich zur Arbeit. Was ist die Folge davon, dass wir zunehmend in Bewegung sind? Studien haben herausgefunden: Es führt zu einem Leben an sogenannten „Nicht-Orten“. Orte, an denen etwas fehlt. Es sind Orte, an denen kein Heimatgefühl aufkommt: für viele Menschen sind es anonyme und einsame Orte. 

Wie wichtig Kontinuität für die Identifikation mit dem Ort ist, an dem wir leben, hat schon der Heilige Benedikt vor mehr als 1.400 Jahren erkannt. Er hat mit seiner Ordensregel dafür gesorgt, dass die Ordensbrüder sich aus eigenem Antrieb heraus um ein nachhaltiges Leben bemühen. Und das funktioniert so: Jeder Mönch, der in ein Benediktinerkloster eintritt, gelobt „stabilitas loci“ – die Beständigkeit des Orts. Das bedeutet, ein Mönch wird das einmal ausgewählte Kloster nicht mehr verlassen. Er wird in dieser Gemeinschaft leben und sterben. Was nach vermeintlicher Enge klingt, hat aber noch eine ganz andere, wunderbare Seite: Weil die Mönche an genau eine Abtei gebunden sind, fühlen sie sich diesem Ort in besonderer Weise verbunden. Sie gestalten ihren Lebensraum und tun alles, damit dort die Dinge vorhanden sind, die sie zum Leben benötigen. Dazu gehören die nachhaltige Bewirtschaftung von Land und Klostergebäude genauso wie stabile Beziehungen zu Mitbrüdern und Gästen. Ein Benediktinerpater hat es so beschrieben: „Wenn man diesen Ort nicht liebt, kann man es dort nicht aushalten“.

Wie also kann es gelingen, dass wir uns mit einem Wohnort identifizieren - ihn also lieben, obwohl wir ständig mobil sind? Wo ist der Mittelweg zwischen Klosterleben und Individualismus? Es ist ganz einfach: Wenn Menschen ihre Erfahrungen austauschen, wenn sie sich treffen – dann sind sie glücklicher. Wenn sie gemeinsam ihre Geschichten teilen. Es bleibt also nichts anderes übrig, als zu wagen, sich zu öffnen. Gemeinden ebenso wie Kirchengemeinden können darüber nachdenken, ob es bei ihnen diese Räume für Geselligkeit und Geschichten gibt. Und der mobile Bürger muss sich trauen, selbst handeln. Damit aus Nicht-Orten wenigstens ein bisschen Heimat wird, bevor er weiterziehen muss. 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=29774
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