Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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19NOV2019
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„Es geht mir gut.“ Das aus ihrem Munde zu hören, aus dem Mund einer Todkranken, das beeindruckt mich. Denn Ruth weiß, dass sie nicht mehr lange zu leben hat. Sie hat Krebs. Die Ärzte haben einen Tumor operiert, doch dann haben sie noch einen zweiten gefunden. Der kann nicht operiert werden. Und ob eine Intensiv-Chemo oder eine Bestrahlung wirklich hilft ist unklar. Ruth hat sich darauf eingestellt, dass ihr Leben bald zu Ende geht. Sie muss jetzt Morphium nehmen und hat sich schon in einem Hospiz angemeldet. Sie ist Mitte 70 und hätte gerne noch länger gelebt. Die Diagnose war ein Schock für sie. Aber nun sagt sie zu mir: „Ja, es geht mir gut.“ So wie ich sie kenne, kann ich ihr das abnehmen. Was meint sie damit? Wie ist es möglich, dass es jemandem in einer solchen Situation „gut geht“?

Ruth hat mir gesagt: „Ich kann Tag für Tag genießen. Denn ich erlebe viel Schönes. Und ich bekomme viel Zuwendung, auch Besuche und Telefonate.“ Das nimmt sie aufmerksam wahr und freut sich daran – so, wie sie es schon ein Leben lang gemacht hat. Sie war und ist ein Mensch, der bewusst lebt, der spürt, wo er von anderen beschenkt wird; Sie ist aufmerksam und dankbar. Das gehört zu ihr, und diese Grundhaltungen helfen ihr jetzt, das Schöne im Leben bis zum Ende auszukosten.

Dabei hilft ihr auch ihr Glaube. „Ich kann jetzt viel beten“ hat sie mir gesagt. Beten – das heißt für sie, dass sie sich innerlich Gott zuwendet. Und dass sie ihm all die Menschen anempfiehlt, für die sie ein Leben lang da war und denen sie sich nahe fühlt. Wenn es geht, feiert sie den Gottesdienst im benachbarten Altersheim mit. Sie fühlt sich von Gott getragen, und das gibt ihr Kraft.

Manchmal wird gesagt: „So wie jemand gelebt habt, so stirbt er dann auch.“ Das ist zu pauschal und stimmt oft nicht. Aber etwas Richtiges steckt darin, das erlebe ich  bei Ruth: Wie jemand auf den Tod zugehen kann, wie jemand auch zum Lebensende hin noch das Schöne genießen kann, das hängt auch davon ab, wie er gelebt hat, welche Grundhaltungen ihn geprägt haben.

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