SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

„Ach, das war aber nicht nötig!“ – sagt die Frau, als ich ihr die Blumen überreiche. Bloß eine Redensart– oder mehr? Natürlich hat sie recht : Geschenke sind nicht nötig. Aber erwarten wir heimlich nicht doch, dass der Gast etwas mitbringt? Genau bedacht, ist die Antwort allerdings Gold wert: „Ach, das war aber nicht nötig!“ Das, wovon wir wirklich leben, ist mehr als nötig, es sprengt den Erwartungszusammenhang unserer Wünsche und Ängste, es überrascht und macht reicher und weiter. Da bekomme ich ein Buch geschenkt, das mich auf ganz neue Fährten lockt und neue Einsichten bringt. Da begegne ich einem Menschen, der mich neugierig macht und in dessen Nähe ich mich wohlfühle – alles nicht nötig und doch mehr als nötig. Ohne solche Überraschungen würde das Leben langweilig und grau, ohne die unverhofften Geschenke fallen wir auf uns selbst zurück, in uns selbst zusammen. Das Verrückte dabei: genau das, was uns nötiger ist als Brot und Wasser, sprengt den Rahmen des Notwendigen. Sicher: „Das war doch nicht nötig“ bleibt eine Floskel. Aber es steckt eine tiefe Weisheit in ihr. Natürlich gibt es auch böse Überraschungen und unangenehme Geschenke. Aber weiter bringt uns doch allemal das, was uns mit dankbarem, strahlendem Lächeln sagen lässt: „Das war aber nicht nötig“.
Genau das ist die Erfahrung der Glaubenden: was uns z.B. bei Jesus begegnet, ist nicht nötig –es ist mehr als nötig, es ist die Eröffnung einer anderen Welt. In der Bergpredigt weist Jesus auf die Schönheit der Schöpfung hin, auf die Lilien und die Spatzen; er empfiehlt ein sorgloses Vertrauen in den Reichtum des Lebens, „euer himmlischer Vater weiß ja, was ihr braucht... sorgt euch also nicht um morgen“ (Mt 6,31ff), sondern lebt hier und jetzt. Nehmt diesen Tag an wie die Frau den Blumenstrauß! Da blitzt etwas von jener Lebensart schon auf, für die wir – unerwartbar und nicht zu leisten – doch so empfänglich ist: eine Welt, in der nicht verrechnet und verbucht, nicht taxiert und verdient werden muss. Eine Welt absichtsloser wechselseitiger Anerkennung, eine Zivilisation der Liebe und Gerechtigkeit, Biotope der Gnade und der Hoffnung. Wenn Liebende sich so anschauen, Frau und Mann, wenn Kinder ihre Eltern so begrüßen, wenn beim Wiedersehen am Bahnhofsbahnsteig Menschen aufeinander zufliegen, ja auch in der Stunde wirklicher Vergebung und neuer Versöhnung – überall da kommt zum Vorschein, was die Frau beim Blumenstrauß sagt: nicht nötig – mehr als nötig, auch heute.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=2977
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