SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

„Ach, wie sollen wir die kleine Rose buchen?
Plötzlich, dunkelrot und jung und nah?
Ach, wir kamen nicht, sie zu besuchen
Aber, als wir kamen, war sie da.

Eh sie da war, ward sie nicht erwartet.
Als sie da war, ward sie kaum geglaubt.
Ach, zum Ziele kam, was nie gestartet.
Aber war es so nicht überhaupt?“

Eine Kostbarkeit aus der poetischen Werkstatt von Bert Brecht. Alt und weise geworden, meditiert der Dichter jenes Wunder, von dem der Alltag voll ist – oder voll sein könnte. „Die kleine Rose buchen“ – schon das markiert das Paradox. Denn gebucht werden Fahrkarten oder Gegenstände, Gewinn oder Verlust. Ob das Gedicht deswegen mit einem schmerzhaften „Ach“ beginnt? Weil unsere Alltagswelt so verbucht ist, so überraschungslos ist? Nichts kriegst du geschenkt, alles muss verdient und geleistet werden. So scheint es. Und trotzdem lässt sich immer wieder entdecken, dass etwas nicht zu buchen ist, es ist kostenlos, gratis, geschenkt! Die aufgeblühte Rose im Gedicht, die aufblühenden Kakteenblüten auf meinem Balkon, die aufgehende Morgensonne, die überraschende Begegnung. Ganze Litaneien könnten wir aufschreiben von solch kleinen Offenbarungen mitten im Alltag. Ganze Gemäldegalerien könnten wir füllen mit solchen Bildern des Glücks und der Entdeckung – aber warum tun wir es nicht? Sind wir schon so gefangen in dem, was wir kennen, im Einsatz von Kosten und Nutzen, im Spiel von Angebot und Nachfrage, von Buchen und Taxieren? Dieses Gedicht vom alten Bert Brecht bewegt mich deshalb, weil es mich neu ahnen lässt, was wir Christen mit Gnade meinen. Das alte griechische Wort dafür hieß Charis: Charme, beglückende Ausstrahlung, Aura des Guten, des Wahren und Schönen – unverdient und unverdienbar. Worum es da geht – das ist weder zu leisten noch zu verdienen noch zu machen. Das ist einfach da: „die Rose blüht, weil sie blüht“, ohne wenn und aber, ohne warum, grundlos und umsonst, reineweg geschenkt.
Dieses Klima der Gnade ist es, in dem Mensch-Sein gelingt. So jedenfalls lautet die christliche Grundüberzeugung, so die Botschaft des Evangeliums: „Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch aufatmen lassen!“ Das Gedicht von der Rose ist – schon in seiner ersten Strophe – ein Widerhall von diesem Geist Jesu, Ausdruck des Schöpfungsvertrauens, Zeugnis großer Aufmerksamkeit für das Hier und Jetzt – was da geschieht, kommt woanders her.


https://www.kirche-im-swr.de/?m=2976
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