SWR4 Feiertagsgedanken

SWR4 Feiertagsgedanken

01NOV2019
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Kennen sie heilige Menschen?

Schnell denken wir heute am Allerheiligentag an Menschen, die in Kirchen auf Podesten, oder auf prunkvollen Bildern buchstäblich als Helden zu bestaunen sind. Längst tot sind sie. Und hoch aufschauen muss ich um ihnen ins Gesicht schauen zu können. Ihr Leben endete oft tragisch, weil sie ihren Glauben bis zur letzten Konsequenz gelebt haben. In allem waren sie perfekt. Unerreichbar stehen sie über mir. Wenn ich vom Leben so mancher Heiliger höre wird mir bang. So kann und so will ich nicht leben. Mir ist das alles zu groß und zu radikal.

Im 9. Jahrhundert schon hat Papst Gregor IV. das Allerheiligenfest eingeführt. Die Zahl der nach ihrem Tod offiziell von der Kirche heiliggesprochenen Menschen war unüberschaubar geworden. Auch wenn manche von ihnen dies eher kirchenpolitischen Erwägungen, oder einer gezielten Lobby, als ihrem eigenen Leben verdankten.

Ein allgemeiner Festtag wurde eingeführt. Für all die vielen Namenlosen, die keinen Platz im offiziellen Heiligenkalender bekamen. Die einfach so verehrt wurden von den einfachen Leuten.

Heilige Menschen. Auch heute gibt es sie. Ganz treu sind sie. Unscheinbar. Ihr Name steht nicht in der Zeitung. Sie möchten nicht als Helden auf Sockel und Podeste gestellt werden.

Ein 85 jähriger Mann in unserer Gemeinde ist für mich einer von Vielen. Jeden Tag fährt er zu seiner Frau ins Altenheim. Zu Hause ging es einfach nicht mehr mit ihr. Ein Schlaganfall veränderte so Vieles vor zwei Jahren. Die gemeinsamen Spaziergänge waren nicht mehr möglich. Der Rollstuhl mehr als ungewohnt. Das Sprechen verstummte. Was jetzt bleibt für die Zwei sind Gebete und Lieder. Und ganz viel Gefühl und Emotionen.

Sie verstehen sich. Ganz oft habe ich die beiden im Gottesdienst schon erlebt. Zugeschaut wie er mit ihr die Kommunion teilt. Ihr die Hände faltet beim Beten.

Wie sie sich die Hand halten mit Tränen in den Augen.

Was ist das Besondere an heiligen Menschen? Ganz einfach kommen sie daher. Sie schämen sich nicht ihrer Menschlichkeit. Sie sind verwundbar. Die Abgründe des Lebens und auch ihre eigenen kennen sie. Bescheiden bemühen sie sich klug und gerecht zu leben. Mutig und berührbar kommen sie uns entgegen. Helden wollen sie nicht sein.

Die jüdische Philosophin Simone Weil meinte einmal: Der Held trägt eine Rüstung, der Heilige geht nackt.

Kennen sie heilige Menschen? Woran kann man sie erkennen? Was ist ihnen heilig?

Und: Gibt es sie überhaupt noch?

Wir sagen manchmal, wenn wir uns über andere Menschen ärgern: Denen ist doch gar nichts mehr heilig! Und wir meinen damit: Die treten die Menschenrechte mit Füßen. Sehen nur Profit. Gehen über Leichen.

Anders herum gefragt: wenn denen nichts mehr heilig ist, was ist dann mir heilig? Der Rapper und Liedtexter Marco Michalzik stellt in einem seiner Texte diese Frage:

Woran denkst Du, wenn Du aufwachst am Morgen?   Was ist dir wichtig? Oder vielleicht könnte ich auch eher sagen, was lässt dein Herz schneller schlagen? Welche Sachen, Dinge, oder Menschen? Wofür wärst du bereit zu kämpfen? Was würd‘ dich auf die Straße treiben? Wofür würdest du Fahne zeigen? Worunter deinen Namen schreiben? Was ist dir wichtig? Ich meine so richtig! Wichtig! Welcher Verlust würde dich unfassbar schmerzen? Vielleicht ist das Wortklauberei, kleinlich, irgendwie schon fast peinlich, doch die Frage ist doch: WAS IST DIR heilig? …

Der alte Mann, der sich so rührend um seine Frau kümmert, würde den Kopf schütteln. Was für eine Frage !? Was mir heilig ist! Die Liebe zu meiner Frau natürlich. Die ist mir heilig. Die hat Bestand. Schon 64 Jahre jetzt. Für meine Frau setze ich mich ein. Ganz treu. Ich werde sie beschützen. Vor allem was da kommt. Bei ihr bleiben. Wohin sie auch gehen muss. Das hab ich ihr doch versprochen.

Heilige Menschen. Mitten unter uns sind sie anzutreffen. Es sind Menschen wie sie und ich und doch ganz besondere Menschen. Die füreinander einstehen. Solidarisch. Weltweit. Mit einem langen Atem. Manche setzen sich ein für die Verständigung zwischen Kulturen und Religionen. Andere gehen auf die Straße. Sie gehen zu den Menschen, die am Rand stehen und so leicht übersehen werden. Nichts ist für sie unmöglich.

Und sie nehmen Verantwortung wahr für ihre Mitmenschen und für die Menschen, die nach ihnen noch leben werden.

Heilige Menschen. Irgendwie machen sie es mir leichter an Gott zu glauben.

Marco Michalzik, der Rapper, stellt am Ende seines Textes Gott selbst die Frage, was ihm denn heilig ist:

Und wenn ich mir die Frage stelle: Was wär Gottes Antwort an der Stelle?

Auf die Frage: Was ihm wichtig ist, wofür sein Herz schlägt, was ihm heilig ist? Und es ist fast unglaublich, glaube ich.

Weil du für ihn heilig bist!

Weil ich es bin und das gibt mir Sinn und Bedeutung.

Lässt mich mein Leben nicht vergeuden. Lässt mich leben hier und heute.

Heilige Menschen. Es gibt viel mehr von ihnen als wir denken. Hier und jetzt. Mitten unter uns. Gottes Liebe macht ihr Herz ganz weit für andere Menschen. Ihr Fest ist heute. Ich wünsche Ihnen einen schönen Feiertag.

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