SWR3 Gedanken

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09NOV2019
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„Gott, Du kennst mein Gestern. Sei Du bei mir im Heute und sorge für mein Morgen.“ So bete ich oft und gern. Gerade heute. „Schicksalstag der Deutschen“ wird der 9. November genannt. Schlimmes und Schönes steht heute vor Augen. Judenhass, brennende Synagogen und jubelnde Menschen beim Mauerfall. Ich habe nichts davon selbst miterlebt, aber als Deutsche gehört Beides zu meiner Geschichte.

So wie ich bete, haben das Menschen vor 30 Jahren auch getan. Mit Kerzen und Gebeten sind sie auf die Straße gegangen. Für die Freiheit. Dann ist es passiert: Die Mauer zwischen Ost- und Westdeutschland ist gefallen. Familien kamen zusammen, die Grenzen wurden geöffnet - und niemand hat geschossen. Gott sei Dank. Wie schön war das. Schlimm nur:

Heute rufen manche mit dem gleichen Ruf „Wir sind das Volk“ wieder nach Mauern…  

Vor 81 Jahren wurden Synagogen angezündet, jüdische Geschäfte verwüstet, Menschen verletzt und getötet. Es war eine staatlich organisierte Aktion. Viele haben mitgemacht, andere geschwiegen. Die Angst, zu helfen war groß. Damals begann die groß angelegte, millionenfache Vernichtung der Juden. Grausam. Und schlimm genug. Umso schlimmer:

Heute rufen manche wieder `Ausländer raus`, und `Du Judensau`. 

Das erschreckt mich. Und glücklicherweise nicht nur mich. Viele Menschen sind in diesen Tagen alarmiert, gehen auf die Straße für ein Land, das seine Gestern kennt. Und das heute und morgen weiterhin frei sein soll. Ich mag gut und friedlich mit allen zusammenleben, die unser Recht achten, ganz gleich welcher Religion und Hautfarbe. Darum erzähle ich auch vom 9. November. Mit allem Schlimmen und Schönen – wie der friedlichen Revolution.

Und ich bete: „Gott, Du kennst mein Gestern. Sei Du bei mir im Heute und sorge für mein Morgen.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=29713
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