SWR3 Gedanken

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30OKT2019
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Der Satz hat gesessen und er tut mir weh! Wenige Tage nach dem Mordanschlag auf die Synagoge in Halle vor drei Wochen beschreibt der jüdische Autor Richard C. Schneider seine Gefühle. Schneider wörtlich: „Wut packte mich. … Nein, nicht nur auf den Attentäter. Sondern auf das, was nun unweigerlich folgen würde. … Diese lächerlichen Mahnwachen vor Synagogen, …das öffentliche Entsetzen … die deutsche "Betroffenheit"“[1]. Richard Chaim Schneider ist ein deutscher Jude. Zehn Jahre lang war er Leiter des ARD-Studios in Tel Aviv. Seit zwei Jahren lebt er ganz in Israel. Seinem Geburtsland Deutschland hat er den Rücken gekehrt. Er wollte nicht mehr hier leben. Ich ahne warum.

Vor vielen Jahren war ich zu einem Hausbesuch bei einem alten Ehepaar. Während des Gesprächs in ihrem Wohnzimmer fingen die beiden plötzlich an, über „die Juden“ zu schimpfen. Ich war total entsetzt. Dabei glaube ich bis heute nicht, dass die beiden Nazis waren. Ich glaube, was fast noch schlimmer ist, sie haben sich einfach nichts  Besonderes dabei gedacht. Und ich, der damals junge Seelsorger, habe schockiert da gesessen und geschwiegen. Wenn ich mich daran erinnere, schäme ich mich noch heute dafür. Richard C. Schneiders Worte haben mich deshalb auch persönlich getroffen. Denn genau dieses Schweigen und Wegschauen beim ganz alltäglichen Antisemitismus macht unseren jüdischen Nachbarn das Leben so schwer.

Die Mahnwachen und Kerzen mögen ein wichtiges Zeichen der Solidarität sein, aber sie reichen natürlich nicht. Wer wie ich mich möchte, dass es jüdisches Leben im Land gibt, muss auch den Mund aufmachen und deutlich widersprechen, wenn wieder mal irgendwo über Juden hergezogen wird.



[1] Die Zeit Nr. 43/2019

https://www.kirche-im-swr.de/?m=29683
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