SWR2 Wort zum Tag

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02NOV2019
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Es ist so ähnlich wie beim Gang in den Flughafen: vorher meist die Hektik von Packen und Abfahren, der Termindruck noch am Schalter und besonders in der Labyrinth-Schlange zur Personenkontrolle - und dann die große Freiheit, ohne großes Gepäck mehr und in völliger Entspannung bis zum Abflug. Welch ein Kontrast von vorher und nachher! Warum fällt mir diese Erfahrung ein, wenn ich heute an Allerseelen an die Toten denke? „Sie ruhen in Frieden“, so sagt man seit christlichen Zeiten. Und schon zuvor hofften die Menschen fest, dass es den Verstorbenen gut gehe. Gewiss, man erfand auch die Grabsteine, damit die Toten nicht als Gespenster wiederkommen. Es sollte ein Deckel drauf, damit sie das Treiben der Lebenden nicht durcheinanderbringen. Aber gerade dank des Glaubens an die Auferstehung gilt doch die Hoffnung: für die Toten ist gut gesorgt, sie leben bei Gott. „Lass die Toten ihre Toten begraben“, sagte Jesus, für die ist gesorgt. Macht euch lieber Sorgen um euch selbst. Fangt endlich an, richtig zu leben.

Aber wie wir Lebenden mit den Toten umgehen, sagt viel über unsere eigene Lebensqualität und über das Niveau praktizierter Humanität. Vergessen wir, dass wir allesamt Hinterbliebene sind und selbst gehen müssen? Gibt es so etwas wie Respekt und Dankbarkeit gegenüber den Vorfahren und sogar Hoffnung für sie? Der Mensch ist jener Typ Affe, der sich um seine Toten kümmert. Grablege ist eine der ältesten Errungenschaften der Menschheit, ihr Gütezeichen. Noch heute lebt der alte Brauch, auf den Friedhof zu gehen und der Toten zu gedenken. Ja, wir Lebenden sind ja allesamt Erben und stehen auf den Schultern unserer Vorfahren, mit gutem Erbe und auch mit Erblasten. Zudem, könnte es sein, dass die Toten uns Lebenden etwas schon voraushaben: diese Friedhofsruhe, diese Entspannung nach der letzten Kontrolle und vor dem großen Flug. Ist nicht die Orientierung an dem, was auch uns blüht, womöglich ein produktiver Ruhepol schon jetzt? Im Gedanken an die bevorstehende Friedhofsruhe könnte es womöglich jetzt schon entspannter zugehen. Eine Gesellschaft, die den Tod verdrängt und die Toten vergisst, wäre arm dran. Denn wer von ihrer gotterfüllten Ruhe nichts weiß, wird die Hektik des Aufbruchs und den Stress ständiger Selbstverbesserung nie hinter sich lassen.

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