SWR2 Wort zum Tag

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Was machen Sie, wenn Sie Glück gehabt haben? Ich stelle mir diese Frage ernstlich. Ich habe nach Weihnachten ein Buch gelesen, das mich sehr beeindruckt hat. Es heißt: „Glückskind“. Völlig überraschend dieser Titel, wenn man liest, was dieses Kind an Grauen erlebt. Das „Glückskind“ heißt Thomas Bürgenthal. Er erzählt im Buch seine Kindheit, als jüdisches Kind. Thomas ist 1934 geboren, heute 73. Mit 5 Jahren wird er aus seiner glücklichen Kindheit gerissen. Seine Eltern versuchen, vor den Nazis zu fliehen. Es klappt nicht. Er wächst im jüdischen Getto in Polen auf, kommt als 8 jähriger Junge nach Auschwitz, sieht mit an wie Menschen erschossen werden. Überlebt. Der kleine Thomas überlebt auch mitten im Winter einen wochenlangen Marsch in das Lager Sachsenhausen, überlebt schließlich Nazideutschland. Einige Male wird er gerettet, während Menschen neben ihm umgebracht werden, auch sein Vater. So nennt er sich dann in seinem Buch: „Glückskind.“
Nach dem Krieg hat Bürgenthal aus seinem geschenkten Leben Konsequenzen gezogen. Ist Jurist geworden und hat sich Zeit seines Lebens eingesetzt für die Menschenrechte. Zuletzt am Menschengerichtshof in Den Haag. Hat sich dafür eingesetzt, dass unschuldige Menschen nicht solches Unrecht erleiden müssen wie er. Thomas Bürgenthal hat überlebt. Er nennt das Glück. Und er empfindet das als Verpflichtung, für sein Leben.
Was mache ich, wenn ich Glück habe? Und Sie? Nehmen wir es als selbstverständlich? Berührt und verändert es uns auf Dauer, oder übersehen wir es? Oder genießen es im Moment und lassen es folgenlos versickern?
In der Bibel gibt es eine Geschichte von 10 Glücklichen, aber nur bei einem von den 10 wirkt das Glück nach. Die 10 sind aussätzig, leben am Rand der Gesellschaft. Jesus heilt sie, alle 10. Er trägt ihnen auf, dass sie Gott dafür öffentlich danken sollen vor einem Priester. Nur einer tut es, die anderen gehen einfach zur Tagesordnung über.
Nur einer macht sich sein Glück wirklich bewusst und wird darüber zu einem dankbaren Menschen. Ist das zu verstehen?
Aber anscheinend sind viele Menschen so. Wir sehnen uns nach Glück, wünschen es uns. Und wenn wir es haben? Vergessen wir es? Die biblische Geschichte meint, man kann Glücksmomente festhalten, wenn man sie sich zu Herzen nimmt. Wenn ich es bedenke, ich habe oft Glück erfahren. Mit Menschen, im Beruf. Sicher mehr als Thomas Bürgenthal.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=2965
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