SWR1 Begegnungen

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27OKT2019
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Abseits der wilden Touristenströme, in einer ruhigen Oliver Lahl Foto: Heike SchillerSeitenstraße von Rom, in der Via di Villa Sacchetti, befindet sich die Deutsche Botschaft. Genauer gesagt: Befindet sich die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland am Heiligen Stuhl. Der Vatikan ist das kleinste Land der Welt und doch leistet sich fast jedes Land der Welt dort eine eigene diplomatische Vertretung. Fast wie eine „kleine“, inoffizielle UN-Versammlung rund um den Petersdom.

„Das Absurde an der Situation ist, dass wir nicht die Deutsche Botschaft beim kleinsten Staat der Welt sind, also nicht beim Vatikan-Staat, wir sind die Deutsche Botschaft beim Heiligen Stuhl. Und der Heilige Stuhl ist eben nicht der halbe Quadrat-Kilometer Territorium, nicht diese Fläche, nicht dieses ‚Land‘, sondern der Heilige Stuhl ist die Person des Papstes.“[1]

Oliver Lahl ist zwar nicht der Botschafter – das ist seit gut einem Jahr Michael Koch als Nachfolger von Annette Schavan – aber Oliver Lahl ist ein wichtiger Mann im Hintergrund. Seine Berufsbezeichnung lautet: Geistlicher Botschaftsrat. Und als katholischer Priester in einer Deutschen Botschaft ist er gleich in mehrfacher Hinsicht eine Besonderheit:

„Mit der Übernahme dieses neuen Aufgabenfeldes, ging ich auch von der Kirche in den Staat über – bin jetzt also Staatsbeamter – und gehöre von daher in diese Berufsbezeichnungen des Auswärtigen Dienstes, bzw. Auswärtigen Amtes und das heißt ‚Der Botschaftsrat erster Klasse‘ – normalerweise, im Umgangssprachlichen, wird jetzt hier gesagt ‚Geistlicher Botschaftsrat‘ – weil ich auch der einzige Priester bin, der dauerhaft beim Auswärtigen Amt beschäftigt ist.“[2]

Und im Klartext heißt das: Ein Priester, der nicht den Papst, sondern unseren Außenminister als obersten Chef hat – das klingt spannend. Im Alltag sieht das so aus:

„Ich beschreibe meine Aufgabe immer in zwei Bildern: Einmal als Übersetzer – ich bin Dolmetscher zwischen dieser fremden, kirchlich-katholischen, römisch-katholischen Welt – Warum gibt’s da braune und schwarze Franziskaner? Warum gibt’s welche mit und ohne Hut – also eine ganz reine, praktische Übersetzungstätigkeit dessen, was die katholische Welt darstellt, aber natürlich genauso in die andere Richtung: Was tut Deutsche Politik? Wie sieht Deutsche Gesellschaft aus?“

Oliver Lahl übersetzt also für den Papst und die Kardinäle einerseits und für Angela Merkel und Jogi Löw andererseits, wenn sie den Papst besuchen. Gerade Angela Merkel hat bei ihm Eindruck hinterlassen:

„Weil die im direkten Begegnen, im kleinen Umfeld, auch eine sehr angenehme Person ist, eine sehr gebildete Frau ist, die auch nachfragt, wo es Spaß macht, sich zu unterhalten.“

Wer bei ihm, außer der Kanzlerin, auch noch in angenehmer Erinnerung geblieben ist, erzählt uns Oliver Lahl nach der Musik.

Teil II:

Pfarrer Oliver Lahr vertritt die Bundesrepublik Deutschland beim Papst und begleitet Politiker, die Papst Franziskus besuchen. So auch die Baden-Württembergische Landtagspräsidentin Muhterem Aras[3].

„Als Ministerpräsident Kretschmann da war, das war auch einfach super und mit der Landtagspräsidentin, die auch eine sehr super Figur machte und die auch in der Kurie eine super Figur machte; also da haben uns mehrere danach angesprochen darauf, wer die Frau denn ist, wo die herkommt und das machte dann schon auch Eindruck, dass sie eben als jemand, der in der ersten Migrationsgeneration, die Eltern noch Migranten, Analphabeten, diesen Weg gegangen ist und dass Deutschland so einen Weg möglich macht und dann auch in hohe und höchste Ämter zu bringen.“

Jenseits der Kameras entstanden auch unerwartet intensive Gespräche mit Spielern der deutschen Fußballnationalmannschaft. Beim letzten Besuch im Vatikan waren einige Spieler und Betreuer den ganzen Tag unterwegs, u.a. …

„…im Apostolischen Palast, Sixtinische Kapelle, St. Peter – und die Gespräche, die damals liefen, waren überraschend, ich muss wirklich sagen, für mich überraschend – ich bin kein Fußballer und kein Sportler – gut. Gündogan[4] fragte mich dann: ‚Ja, ist es für Sie kein Problem, dass ich jetzt hier als Muslim dabei bin und für den Papst morgen auch nicht?‘ Also es war ganz anders, wie ich es mir vorgestellt habe.“

Wie aber wirkt Papst Franziskus aus der Nähe, bzw. aus der Nähe, die Oliver Lahl durch seine Arbeit hat?

„Ich erlebe einen Papst Franziskus, der je nach Situation, innerhalb von 20min drei unterschiedliche Menschen ist. Das hört sich jetzt komisch an: Sie haben Generalaudienz, er fährt ein, auf dem Papamobil, die Menschen jubeln ihm zu und er ist in einer ganz intensiven Kommunikation mit den Leuten. Und das ist seine Fähigkeit: Er sieht nicht eine Masse von Menschen, sondern er sieht jede einzelne Person. Jeder Mensch, der ihm begegnet, hat wirklich das Gefühl: ‚Er sieht mich. Er erkennt mich. Er weiß, wer ich bin.‘
Dann geht der offizielle Teil los und er fällt in sich zusammen und man denkt: ‚Schläft er? Interessiert ihn das überhaupt?‘
Und dann begegnen ihm hunderte von Menschen im persönlichen Gespräch.“

Und das sind dann die berühmten Franziskus-Momente: Die Selfies, das Lachen, das Umarmen, das Segen von Kindern und Kranken entlang des Petersplatzes.

Oliver Lahls Augen leuchten, als er sagt:

„Jeder und jede Einzelne hat nicht nur das Gefühl, sondern weiß: Er hat mich gehört. Er hat mich gesehen. Er hat auf mich reagiert. Da ist wirklich heiliger Geist, Energie spürbar – und das macht ihn aus.“

Mich fasziniert, wie sehr Oliver Lahl vom Menschen Franziskus fasziniert ist. Und würde man „Franziskus“ streichen, bliebe „Mensch“ übrig. Und dass Kraft und Heiliger Geist offensichtlich dann wirken, wenn ich mich wirklich gesehen, wirklich gehört und wirklich verstanden fühle. Das macht uns Menschen aus. 

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[1] Die Bundesrepublik Deutschland unterhält (unter dem Dach einer Verwaltungsgemeinschaft) insgesamt drei Botschaften in Rom:

  • Eine Botschaft bei der Republik Italien
  • Eine Botschaft beim Heiligen Stuhl und dem Souveränen Malteser-Orden
  • Eine Botschaft bei den Vereinten Nationen, die in Rom eine große Niederlassung haben

[2] Innerhalb des Auswärtigen Amtes in Berlin gibt es noch einen Benediktiner-Pater aus Jerusalem, der für eine vorrübergehende Zeit dort in der Religionsabteilung arbeitet. Als auf Lebenszeit verbeamteter Priester ist Oliver Lahl tatsächlich einzigartig innerhalb des Auswärtigen Amtes.

[3] Muhterem Aras, Landtagspräsidentin des Baden-Württembergischen Landtags seit Mai 2016

[4] Ilkay Gündogan (Anm. d. Red.)

https://www.kirche-im-swr.de/?m=29647
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