SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

20OKT2019
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Ich liebe Filme. Wenn „Harry Potter“ seine Zauberabenteuer erlebt, fiebere ich mit. Und nicht nur ich: Harry Potter begeistert Millionen Menschen. Ähnlich ist das mit Filmen wie „Pretty Woman“ oder „König der Löwen“. All diese Geschichten ziehen Menschen in ihren Bann. Das ist kein Zufall, denn sie folgen einem ganz bestimmten Spannungsbogen, der einfach mitreißend ist: sie sind als „Heldenreise“ aufgebaut.

Heldenreisen beginnen ganz harmlos: Die Hauptfigur lebt ihren Alltag. Doch dann passiert etwas und das Abenteuer geht los: Harry Potter soll die Zauberschule Hogwarts besuchen; Pretty Woman trifft den Mann ihrer Träume. Doch die Heldenfigur zweifelt, zögert und verweigert sich erst einmal; bis eine Art Mentor sie ermutigt, sich auf das Abenteuer einzulassen. Dann muss sie sich bewähren und die Sache spitzt sich zu. Sie stellt sich dem, was sie ängstigt und herausfordert, und wird schließlich belohnt: Pretty Woman bekommt ihren Traummann; Harry Potter besiegt das Böse. Das Schwierigste kommt aber noch: Der Held oder die Heldin muss das, was sie erlebt hat, in den Alltag integrieren. Das ist nicht leicht, denn er hat sich verändert: Harry Potter kehrt nach Hause zurück, weiß aber, dass er eigentlich nach Hog­warts gehört; Pretty Woman lebt ihr neues Leben, hält aber Kontakt zu ihrer Freundin von früher.

Geschichten, die als Heldenreise aufgebaut sind, sind spannend und unterhaltsam. Besonders erfolgreich sind sie aber, weil sie etwas mit mir zu tun haben! Denn was die Helden erleben, kenne ich von mir selber. Auch ich erlebe Abenteuer! Zwar kämpfe ich nicht wie Harry Potter gegen das Böse. Aber ich muss die Abenteuer meines Lebens bestehen und durchlebe dabei oft Ähnliches wie die Helden. Ich kann mich in ihnen wiederfinden mit all dem, was ich so denke, fühle und durchmache.

Harry Potter hat zum Beispiel zwei Freunde an seiner Seite: Hermine und Ron. Als Weggefährten verkörpern sie, was sonst in mir vorgeht. Ron ist eher ängstlich, manchmal etwas bequem und insofern die kritische und vorsichtige Stimme in mir, die mich warnt: „Pass auf!“ „Tu das nicht.“ „Hast du dir das auch gut überlegt?“ „Was werden die anderen sagen?“ Hermine ist gewitzt und mutig und verkörpert die inneren Antreiber: „Mach schon.“ „Trau dich.“ „Nutz den Moment – diese Chance kommt nie wieder.“

Ich hab das neulich im Kleinen erlebt. Mein Sohn hat mich angeschaut und gesagt: „Papa, du bist dick geworden.“ Das hat gesessen. Wie Harry Potter war ich von jetzt auf gleich ins Abenteuer gerufen; nur halt in ein kleines. Sofort war Hermine zur Stelle: „Wenn dein Sohn das schon sagt, dann wird es Zeit: nimm ein bisschen ab. Worauf wartest du?“ Dummerweise war auch der bequeme Ron nicht weit: „Lass dir doch nichts von einem Vierjährigen sagen. Du müsstest auf Süßes verzichten und dich mehr bewegen. Willst du das wirklich, du Held?“

 

In meinen Sonntagsgedanken habe ich eben erzählt, dass viele große Geschichten wie „Harry Potter“ oder „Pretty Woman“ nach einem festen Schema aufgebaut sind: der Heldenreise. Sie sind so erfolgreich, weil ich mich in den Helden wiederfinden kann. Was sie denken und fühlen, erlebe auch ich, wenn ich vor die Abenteuer meines Lebens gestellt werde.

Der Pastoralreferent Christian Schröder macht sich genau das zunutze. Er nimmt Heldenreisen ganz bewusst her, um Jugendliche auf die Firmung vorzubereiten. Die Firmanden entdecken sich in den Helden wieder. Das hilft ihnen, über sich selber nachzudenken und sich besser kennenzulernen. Schröder bezieht dabei auch die Bibel ein. Er erzählt den Jugendlichen, welche Abenteuer Menschen mit Gott erlebt haben und welche Traditionen und Rituale die Kirche kennt, um Leuten dabei zu helfen, die Abenteuer ihres Lebens zu bestehen.

Schröder hat festgestellt, dass Jugendliche oft sehr genau wissen, in welche Abenteuer sie gerufen sind: Sie sind mit der Schule fast fertig, doch wie geht‘s weiter? Die Eltern trennen sich; was jetzt? Manches können sie beeinflussen, anderes nicht. Wenn die Firmanden dann hören, wie die Jünger von Jesus berufen werden und dass sie ihm folgen, weil er sie überzeugt, dann merken sie, dass man manche Dinge einfach tun muss. Einige entdecken sich in Mose wieder, der daran zweifelt, dass er das Volk aus Ägypten führen kann (vgl. Ex 3,11.13; 4,10). Oder sie lernen Samuel kennen, den Gott dreimal ruft, bis der Priester Eli ihm sagt, dass Gott etwas mit ihm vorhat (1 Sam 3,1-21). Die Jugendlichen sehen dann, dass es oft mehrere Anläufe braucht, bis klar ist, wozu jemand berufen ist. Und sie erkennen, wie wichtig Menschen sind, die ihnen dabei helfen, ihren Weg zu finden und zu gehen.

In den Heldenreisen sind das die Mentoren: bei Harry Potter der Lehrer Dumbledore, bei Pretty Woman der Hotelmanager und bei Samuel der Priester Eli. Sie kennen das Leben und haben den Helden etwas voraus. Nur so können sie sie beraten und ihnen helfen. Die Tradition der Kirche hat diese Mentoren auch: die Paten; die gibt’s bei der Taufe und auch später bei der Firmung. Paten sind Leute, die den Jugendlichen zur Seite stehen. Sie sind für sie da, unterstützen sie und sind ansprechbar für alles, was sie im Leben und Glauben beschäftigt. Wenn die Firmlinge das klar haben, suchen sie ihre Firmpaten bewusst und gezielter aus.

Wie die großen Helden haben auch die Jugendlichen manchmal Angst oder scheitern. Auch da hat die Bibel interessante Beispiele: Petrus versucht einmal, übers Wasser zu gehen, doch vor lauter Angst geht er unter. Jesus packt ihn und zieht ihn raus (vgl. Mt 14,22-33). Solche Texte verstehen die Firmlinge gut. Sie überlegen dann, was sie ängstigt. Sie fragen, wer ihnen die Hand reicht und für sie da ist, wenn es drauf ankommt. Und sie stellen fest, dass das, was nicht möglich zu sein scheint, oft möglich wird, wenn man an sich glaubt und nicht alleine ist. Und dadurch stoßen sie manchmal sogar auf die ganz großen Fragen des Lebens und überlegen, worauf sie grundsätzlich vertrauen und an wen oder was sie glauben.

Heldengeschichten spiegeln die Abenteuer meines Lebens. Seit ich das weiß, schaue ich mir Filme wie „Harry Potter“ noch lieber an. Denn ich bin gespannt, ob ich vielleicht noch etwas Neues lerne – über mich und mein Leben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=29605
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