SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

02OKT2019
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Das Thema Tod beschäftigt mich. Je älter ich werde desto mehr. Ganz besonders dann, wenn ich unmittelbar damit konfrontiert werde. In diesem Jahr sind schon zwei meiner Pfarrer-Kollegen gestorben, die ungefähr mein Alter hatten. Mir fällt auf, dass mir der Gedanke an den Tod öfter als früher durch den Kopf geht, dass ich mich frage, wann es bei mir soweit sein wird. Manchmal geht das so schnell. Das Herz bleibt auf einmal stehen. Eine Krankheit ist stärker als alle Kraft und alles, was Ärzte können.

Vor einigen Wochen habe ich einen Mann beerdigt, keine vierzig Jahre alt. Er ist in den Bergen verunglückt. Er kommt einfach nicht mehr zurück, wird schließlich gefunden und überführt. Wenn jemand so aus dem Leben herausgerissen wird, das ist besonders schlimm, weil sich niemand darauf einstellen kann. Plötzlich stehen die Angehörigen da und bekommen zu spüren, wie machtlos sie gegenüber dem Tod sind, wie er mit einem Schlag alles zunichte macht. Ja, wir würden uns gerne auf den Tod einstellen, damit wir bereit sind, ihn anzunehmen, wenn er kommt. Aber: Können wir das wirklich? Oder ist es vielmehr so, dass uns der Tod immer und grundsätzlich mitten im Leben ereilt? Weil es immer ein Schock ist, wenn wir jemanden verlieren. Weil es immer zur Unzeit geschieht. Weil wir selbst am liebsten nicht ans Sterben denken.

Manchmal sagen mir Menschen, dass sie sterben wollen. Das gibt es, wenn einer lebenssatt ist, wenn jemand alt ist und schon genug erlebt hat. Meine Großmutter ist 102 Jahre alt geworden. Sie konnte so ähnlich sprechen. Und gleichzeitig habe ich bei ihr immer gespürt: Sie lebt gern. Sie will doch nicht sterben, jetzt, heute, morgen. Ich habe gewusst, wie alt sie ist. Trotzdem wollte ich es nicht wahrhaben, als es eines Tages soweit war und sie gestorben ist. Sie war ja vorher immer da, mein ganzes Leben.

Ein alter Choral sagt: Mitten im Leben sind wir im Tod[1]. Da ist wirklich was dran. Das ist und bleibt richtig, auch wenn wir uns noch so sehr um den Tod drücken wollen. Der Tod ist immer da. Wir bewegen uns unaufhaltsam auf unser Ende zu, Stunde für Stunde, Tag für Tag. Es ist eine Kunst, das zu akzeptieren, zu lernen, es möglichst gelassen zu nehmen. Mir hilft es, wenn ich nicht zu weit nach vorne plane, sondern darauf achte, dass jeden Tag etwas Schönes geschieht. Das ist mir meistens auch in schweren Zeiten gelungen. Und dann ist da auch noch die Hoffnung, dass es nach dieser Erdenzeit weitergeht. Bei Gott. Dass ich nach dem Tod einmal bei ihm sein werde. Geborgen bei ihm. In einer neuen Welt.



[1] Media vita in morte sumus, um 750 n.Chr.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=29481
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