SWR3 Gedanken

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19SEP2019
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Als ich einen Einkaufswagen ziehe, bin ich überrascht. Er ist nicht angekettet. In seinem Schloss steckt ein Euro. Ich drehe mich kurz um, kann aber meinen Vorgänger nicht ausmachen. Schließlich gehe ich einkaufen. Als ich den Wagen zurückbringe, überlege ich einen Moment, den Euro einzustecken, entscheide mich aber dagegen. Vielleicht freut sich der Nächste genauso wie ich über den unerwarteten Fund. Ich lasse den Euro stecken und schiebe den Wagen hinein, bleibe aber ein paar Schritte entfernt stehen, um zu sehen, was weiter geschieht.

Tatsächlich kommt kurz darauf eine junge Frau. Ich sehe die überraschte Freude in ihrem Gesicht, als sie den Euro entdeckt. Sie blickt sich kurz um. Dann schiebt sie den Wagen hinein, nimmt den Euro aus der Halterung und steckt ihn in ihre Tasche. Anschließend steckt sie ein Plastikmärkchen hinein, zieht den Wagen und geht einkaufen. Damit habe ich nicht gerechnet.

Eine ältere Dame neben mir lacht plötzlich auf: „Tja, so ist das im Leben. Die einen geben`s weiter, die anderen nicht“, sagt sie und zuckt mit den Schultern. Offensichtlich hat sie die Situation mitbekommen. Die alte Dame geht zu ihrem Auto, doch ihre Worte hallen in mir nach: „Tja, so ist das im Leben. Die einen geben`s weiter, die anderen nicht.“ Automatisch fallen mir Erbangelegenheiten ein, Immobilien, Schmuck, Bücher, Dinge von persönlichem Wert. Aber auch Werte, Moralvorstellungen, Verhaltensweisen und auch der Glaube. Alles Dinge, die man weitergeben kann. Aber eben nur kann. Als Gebender kann man immer nur das Angebot machen. Was der Nächste, daraus macht, ist seine Sache.

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