SWR2 Wort zum Tag

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13SEP2019
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„Es ist ja recht und schön, aber am Ende halt leider doch für die Katz.“ Hat ein Kommentator im Internet geschrieben. Zu einer kirchlichen Sendung am 1. September. Dem Tag, an dem vor 80 Jahren der 2. Weltkrieg begonnen hat. „Es ist recht und schön für Frieden zu singen zu beten. Aber am Ende für die Katz.“ Eine große Portion enttäuschter Hoffnungen liegt darin. Der Kommentator traut uns Menschen wenig Friedensfähigkeit zu. Der Politik nicht. Aber auch die friedensstiftende Kraft von Musik und Religion zieht er in Zweifel. Trauer habe ich in diesem Kommentar gehört.

 

Aber ich hoffe, dass aus Trauer auch Kraft zum Frieden wachsen kann. Mich hat der Kommentar an eine Szene aus dem Neuen Testament erinnert. Jesus ist unterwegs hinauf nach Jerusalem. Als er die Stadt sieht, erfasst ihn Trauer. Der Evangelist Lukas hat geschrieben: „Als Jesus die Stadt vor sich liegen sah, weinte er über sie und sagte: ‚Wenn doch auch du heute erkannt hättest, was dir Frieden bringt! Aber jetzt ist es vor deinen Augen verborgen.‘“

 

Für den Frieden beten, Musik machen und Politik, für die Katz?
Nein, ich glaub das nicht. Aber wahrscheinlich braucht es auch Trauer, damit Beten, Musik und Politik Kraft entfalten können.nUnd darum ist eines bestimmt nicht für die Katz: dass man immer wieder an Trauer-Orte geht, wo einem Schmerz und Leid, die Krieg über Menschen bringen, deutlich werden.

 

Ich war vor kurzem in Lettland. Ein kleines Land, grade mal 2 Millionen Einwohner. Eines der wichtigsten Denkmale in Lettland ist eine große Friedhofsanlage: Der so genannte Brüderfriedhof. Seine Gräber und Denkmale machen einen traurig. Sie erzählen wie man dran ist als Mensch in einem kleinen Land, zwischen Europäischen Großmächten. Zwischen Russland und Deutschland. Vor hundert Jahren haben sich Zar und Kaiser hier bekriegt. Danach gab es Krieg für die Unabhängigkeit. Ab dem 1. September 1939 waren sie Opfer von Hitlerdeutschland und Stalinrussland. Nach 1949 wurden viele Letten nach Sibirien deportiert. All das erzählt der Friedhof. Vielleicht kann aber von so einem Friedhof auch Frieden ausgehen. Wenn man wachsam traurig dafür bleibt, was der Ungeist des Nationalismus alles angerichtet hat. Nicht nur in Lettland. Dieser Ungeist ist ein Kriegstreiber und stürzt Menschen in Unfrieden.

 

Es ist nicht für die Katz, nach Frieden zu trauern, zu beten, zu singen und Politik zu machen. Das sagt der Friedhof in Lettland auch: Seit 1991, seit Lettland wieder unabhängig ist, sind keine neuen Gräber mehr dazu gekommen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=29389
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