SWR2 Wort zum Tag

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12SEP2019
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Man kann den eigenen Schatten lieben. Eine junge Touristin hat mir das auf erfrischende Weise deutlich gemacht im Urlaub. Dem Aussehen nach war sie asiatisch. Ich habe sie in einer Kirche gesehen. Und sie hat mich fasziniert: Mit sichtbarer Freude und Lust an ihrem Schatten hat sie dort posiert. Regelrecht mit ihm gespielt. In einer Kirche. Und das war nicht unschicklich, sondern von dieser Gemeinde so gewollt. Es gab eine Kunst-Installation in dieser Kirche. Auf eine große Leinwand, ebenerdig, war ein Video projiziert. Ein leuchtend blau-weißer Himmel. Wer wollte, konnte sich vor die Leinwand stellen und seinen Schatten an diesen strahlend blauen Himmel projizieren lassen. Man konnte und sollte sich als Besucher der Kirche provozieren lassen, sich zu begegnen, seinem Schatten und damit sich selbst.

Die junge Frau wollte. Sie hatte Spaß an ihrem Bild. Ihr Schatten hat ihr gefallen. Und sie selbst hat sich gefallen. Ist das schon selbstgefällig, habe ich mich im ersten Moment gefragt. Nein, bin ich inzwischen sicher. Vielleicht ist das sogar ein Stück Lebenskunst. Dass man seinen Schatten lieben kann. Und damit auch sich selbst. Wie man nun einmal ist. Wie man geworden ist. Auch wenn man vielleicht nicht mehr ganz aufrecht steht. Trotzdem, sich lieben. Ohne Selbstgefälligkeit. Mit dem Himmel als hellen Hintergrund.

Das mit dem Schatten hat ja noch eine andere Dimension. Mein Schatten, das können ja auch meine Schattenseiten sein. Die inneren. Die mein äußeres Bild nicht zeigt. Die ich aber genauso kenne. Und die zu lieben vermutlich schwieriger ist, als den Menschen, der man äußerlich geworden ist. Sich lieben können, ohne dass man diese Schatten ausblendet. Im Gegenteil, sie wahrnehmen, sie auch bei Licht sehen. Und trotzdem, sich lieben, als Mensch mit Schatten.

Wie kann man das? Die Kunstinstallation in der Kirche hat mir dafür neu die Augen geöffnet. Und ich denke mir, genau deshalb haben sie diese Installation in der Kirche eingerichtet. Als Christ kann ich glauben, dass ich mit meinen Schatten geliebt bin von Gott. Wir Menschen sind ja nicht nur Lichtgestalten. Bei Licht besehen, sind die Schattenseiten unübersehbar. Aber vor Gott brauche ich diese nicht zu verstecken. Ich kann mich lieben, weil ich geliebt werde. Und das macht nicht selbstgefällig, sondern lebensfroh und frei. Man muss nicht die Augen verschließen vor den eigenen Schatten. Sie zu sehen ist wichtig. Nur so sehe ich, was mir nicht gut tut und wo ich nicht gut tue. Und daran kann ich dann arbeiten.

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=29388
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