Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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04SEP2019
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Sie fiel sofort auf, so wie sie gekleidet, geschminkt und frisiert war. Keine andere Frau kam mit derart gestylten Fingernägeln wie sie zum Gottesdienst. Und doch gehörte sie dazu und war bestens integriert. Ich bewunderte sie, gerade weil sie sich nicht einfach anpasste, sondern ihren eigenen Stil hatte. Im Laufe der Begegnungen mit ihr wurde mir deutlich, dass ihr Outfit Folge und Ausdruck einer ebenso bunten und ungewöhnlichen Biografie war.

Ihr Leben war wirklich nicht einfach gewesen und erst recht nicht bürgerlich brav und normal. Irgendjemand hatte sie in die Gemeinde eingeladen, und dort hatte sie Jesus in einer Weise kennengelernt, wie ihr das bisher fremd war. Nach und nach ging ihr auf, dass der Glaube ihr kompliziertes Leben entwirren und neu ordnen konnte. Sie ließ sich darauf ein und konnte vieles aus ihrer Vergangenheit aufarbeiten und neue Alternativen entwickeln. Darüber war sie so begeistert, dass sie gar nicht anders konnte, als ihren Freunden davon zu erzählen. Sie kannte ja deren Probleme, die teilweise sehr ähnlich, oder auch ganz anderer Art waren. Und sie wusste, welche heilende und befreiende Wirkung vom Evangelium ausgehen würde, wenn ein Mensch erst einmal vor Gott auspackte und sich neue Perspektiven zeigen ließ. Also kaufte sie sich einen Kleinbus, damit sie sonntags ihre Freunde und Bekannten zum Gottesdienst abholen konnte. Tatsächlich kamen sie mit, und der Bus war fast immer voll.

– Sie und ihre Freunde motivieren mich bis heute, wenn ich meine Predigten vorbereitete. Ich habe sie innerlich vor Augen und frage mich: Was brauchen Menschen wie sie? Ich will sie ja nicht mit theologischen Richtigkeiten abspeisen und vertreiben. Deshalb stelle ich mir immer wieder die Frage: Welche Aspekte des Evangeliums sind für sie wichtig, hilfreich und wegweisend? Darüber hinaus ist das Ganze für mich ein eindrücklicher Beweis dafür, dass die glaubwürdigsten und engagiertesten Missionare diejenigen sind, die selbst Gott intensiv begegnet sind. Jesus drückt das Prinzip einmal so aus: „Wovon das Herz voll ist, davon fließt der Mund über (Mat 12,34).“

Es ist schade, wenn der Glaube Privatsache bleibt. Der Glaube muss unter die Leute. Vielleicht habe ich selbst ja auch etwas weiterzuerzählen. Oder umgekehrt: Ich frage mal jemanden, der von sich sagt, an Jesus zu glauben, was das denn praktisch mit ihm macht.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=29346
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