Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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07SEP2019
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Manchmal stöhne ich im Alltag: Hat das alles überhaupt einen Sinn? Eine Wäsche geschafft, der nächste Berg wartet schon. Der Kühlschrank schon wieder leer, weil Teenagerbäuche irgendwo ein Loch haben. Und auf der Arbeit viele Geschichten von Menschen, die sehr schweres Leid erfahren: Da ist so oft gar kein Sinn zu sehen.

Wie im Mythos von Sisyphos, der einen schweren Stein den Berg hochstemmen muss, schwitzend und gequält, nur um zu sehen, dass der Stein wieder runter rollt und er von vorne anfangen muss. Die Arbeit wird nicht leichter und nicht weniger. Egal, wie sehr er sich auch bemüht. Immer wieder geht es von vorne los. Kommt einem das nicht irgendwie bekannt vor?

Was ist der Sinn des Lebens? Ich habe mal eine Antwort bekommen, von einer Frau, die ich oft besuche. Sie ist sehr krank. Krebs. Mit dem ersten Zyklus Chemo, den sie brauchte, war es nicht getan. Obwohl sie das Gefühl hatte: Jetzt bin ich über den Berg! Nein, die Werte sagten: Ihre Krankheit fordert mehr. Nochmal von vorne anfangen. Obwohl sie schon so lange so tapfer gewesen war.

Sinnlos klingt das. Und schön ist es für sie nicht. Aber sie sagt: „Ich weiß zwar nicht, ob ich das schaffe. Ich weiß aber, wofür ich es versuche. Ich will es probieren, weil ich noch leben will und weil ich es für meine Familie will. Das gibt mir die Kraft, noch etwas durchzuhalten.“

Sie sagt das ganz ruhig, so als ob sie Frieden geschlossen hat. Ihren Sinn gefunden hat – auch wenn sie weiß: Irgendwann kann es sinnvoll sein, nicht mehr weiterzumachen.

Wozu mache ich das alles? Den Kühlschrank füllen, die Wäsche, meine Arbeitsaufgaben, mich auch den schlimmen Herausforderungen des Lebens stellen? Ich habe gelernt: Es muss nicht immer der ganz große Sinn sein. Etwas für ANDERE zu tun, hat allein schon viel Sinn. Sich mit anderen verbinden – das kann Sinn stiften. Weil es mich herausnimmt aus meinem Einzelschicksal und einen größeren Zusammenhang schafft.

Nicht alles ist sinnvoll, aber Sinn kann tatsächlich immer wieder neu entdeckt werden, selbst bei den unscheinbarsten Tätigkeiten und selbst in Krisen. Das habe ich von dieser Frau gelernt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=29342
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