SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Was für eine Enttäuschung aber auch! Die Familie aus dem Binnenland ist mit großem Strand-Gepäck angereist, in der Bretagne, in einer sehr hübschen Bucht. Das Auto steht schattig auf dem Parkplatz, ein paar Meter weg; und jetzt tragen sie Picknick-Korb und Strandmatten und Sonnenschirm um die letzten vorgelagerten Felsen herum – und vor Entsetzen fällt Vater Mutter Tochter Sohn beinahe das Kinn herunter. Gestern war hier doch das Meer! Und tatsächlich: Sie stehen auf dem kleinen Sand- und Kiesstrand; aber das Meer ist einen halben Kilometer weit weg. Bis da hin: Watt und Schlick und Schlamm.

Klar – der leere Parkplatz hätte sie schon nachdenklich machen können. Sie hatten sich statt dessen gefreut. Denn tatsächlich: Gestern abend, gerade tausend Kilometer angereist, da hatten sie den Strand schon besichtigt. Bei Flut sehr schön. Und dann hatten sie wohl vergessen, dass die Bucht des Mont Saint Michel eine sehr flache Küste hat  und dass ziemlich hohe Gezeiten-Wellen darauf treffen beziehungsweise sich zurückziehen. Und heute vormittag ist eben Ebbe. Das Meer wie weggepumpt; auch, damit die Austernkörbe zur Ernte freiliegen. (Angeblich sind da die Austern mit die besten der Welt…)

Ich hoffe, die enttäuschte Urlauber-Familie hat den Tag dann doch noch gut nutzen können. Nebenan, in der kleinen Fischer- und Hafenstadt, auf dem Markt, am Leuchtturm auf dem Kap oder so. Und hat nebenbei noch mal neu verstanden, dass es zwar immer darauf ankommt, am richtigen Ort zu sein – aber außerdem auch noch  möglichst genau zur richtigen Zeit. An der Küste gibt es dafür extra Tabellen, weil ja Flut und Ebbe jeden Tag zu anderen Zeiten kommen und gehen. Gut vorbereitet ist, wer die verschiedenen Gesichtspunkte im Auge hat und sich danach richtet. Uns wäre in den gleichen Tagen beinah das Zelt weggeflogen: Sonnenschein und Schatten auf dem Campingplatz hatten wir gecheckt; aber an den Seewind und die angekündigten heftigen Böen hätten wir eben auch noch denken sollen. Hätte uns eine ziemlich ängstlich und schlaflos verbrachte Nacht erspart.

Aber das gehört ja andererseits zu guten Ferien auch dazu: Einmal im Jahr muss ich raus aus der Komfort-Zone zu Hause, wo ich alles unter Kontrolle habe; bei aller Planung will ich ein bisschen ausgeliefert sein  an Wetter und Landschaft und Natur überhaupt. Das geht übrigens manchmal auch im Alltag, zu Hause: heute dem Nachbarn mal eben bei seinem Gartenprojekt helfen. Und Zeit für den Ausflug in die Eifel habe ich morgen noch. Auch wenn "es" dann anders kommt als von mir geplant.

Wer Gottes schöne Schöpfung feiern will, feiert auch ihre Kraft und die Überraschungen, die sie bereithält.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=29334
weiterlesen...