SWR2 Wort zum Tag

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„Der gegenwärtige Augenblick ist das Fenster, durch das Gott in das Haus meines Lebens schaut.“ Seit ich vor einiger Zeit diesen Satz gelesen habe, geht er mir nicht mehr aus dem Sinn. Er stammt von Meister Eckhart, einem einflussreichen Theologen und Mystiker des Spätmittelalters. 

„Der gegenwärtige Augenblick ist das Fenster, durch das Gott in das Haus meines Lebens schaut.“ 

Ich stelle mir das vor: Gott schaut auf mich. Hat ein Auge auf mich. Ich kann ihn nicht sehen, aber er sieht mich. Im Haus meines Lebens. Wie ich wohne, wie ich lebe, wie ich arbeite. Was ich tue und auch, was ich nicht tue. Und jeder einzelne Augenblick meines Lebens ist das Fenster, durch das er mich sieht. 

Unwillkürlich denke ich: Augenblick mal, will ich das überhaupt? Dass er da einfach so mal eben kurz zu mir durchs Fenster schaut? Ungefragt und ungebeten? Und das noch zu jedem Augenblick? 

Ich erinnere mich nur zu gut an den Drohspruch, den man früher kleinen Kindern oft gesagt hat: Der liebe Gott sieht alles! Da würde ich am liebsten das Fenster gar nicht erst aufmachen. So einen Kontrollgott braucht es nicht. Und Gott dazu zu machen, ist meines Erachtens reiner Missbrauch. 

Auf der anderen Seite hätte ich es manchmal schon gerne, dass Gott einen Blick auf mein Leben wirft. Ich würde mir manchmal sogar noch viel mehr wünschen. Dass er nicht nur mal kurz durchs Fenster hereinschaut, sondern dass er richtig zur Tür hereinkommt und Platz nimmt und da ist und bleibt. Mir zuhört. Mich versteht. Einen Ratschlag gibt. Mir hilft. Mit seiner Gegenwart.

Wenn ich Meister Eckart richtig verstanden habe, hat er genau dieses vor Augen: Dass Gott immer gegenwärtig ist in meinem Leben. Dass er in jedem noch so kleinen oder großen Augenblick da ist. Durch ihn hineinsieht und hineinhört ins Haus meines Lebens. Jederzeit bereit einzutreten. 

Ein schöner Gedanke, der mich frohgemut und zuversichtlich macht. Mich anregt, mein Leben zu gestalten, die Dinge aktiv anzugehen und voranzutreiben. Mit großer Lebensfreude. Und dabei nicht nur das Fenster, sondern auch die Eingangstüre zu meinem Haus aufzumachen, um Gott willkommen zu heißen. In jedem Augenblick meines Lebens. Was für ein Leben im Augenblick!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=29318
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